Weiße Turnschuhe zum Anzug sind nicht innovativ

Beitrag von Patrick Wiederhake

04. Dezember 2025

In unserer Trend&Buzzwords-Interviewreihe redet heute Patrick Wiederhake, Geschäftsführer der HR-Beratung Profil M, Tacheles: Resilienz, Turnschuhe und angebliche Technologieoffenheit sind ihm ein Dorn im Auge. Organizational Debt und Data Contracts haben es seiner Meinung nach vielmehr verdient, beachtet zu werden.


Herr Wiederhake, welchen Hype haben Sie in Ihrer Karriere mitgemacht, obwohl er Sie eigentlich genervt hat?

Wiederhake: Schon seit dem Studium beschäftige ich mich neben anderen Themen mit der Frage, wie man die Gesundheit im Unternehmen nachhaltig fördern kann und welche Rolle die Führung dabei zu spielen vermag. Vor einigen Jahren kam „Resilienz“ als Begriff in diesem Zusammenhang erneut auf und hat von da an die Headlines bestimmt. Der Begriff wird inflationär verwendet, um alles zu beschreiben, was mit besserem Selbstmanagement, Selbstoptimierung oder Stressbewältigung zu tun hat. Dabei beschreibt er im Kern viel existenziellere Fragen des Lebens und Überlebens von Menschen in absoluten Krisensituationen. Dennoch haben wir ihn aufgegriffen und ebenfalls für unsere Konzepte und Entwicklungsmaßnahmen nutzbar gemacht.

Warum haben Sie ihn dennoch mitgemacht?

Der Zweck heiligt dann doch manchmal die Mittel. Ich möchte dazu beitragen, dass Menschen in anspruchsvollen Rollen sich aktiv um ihre Gesundheit und die ihrer Teams bemühen. Wenn Resilienz die Tür öffnet, um darüber sprechen zu können, dann bin ich dabei.

Gab es in jemals einen Hype, den Sie so sinnlos fanden, dass Sie ihn nicht mitgemacht haben?

Weiße Turnschuhe zum Anzug zu tragen, als Zeichen einer zukunftsorientierten Führungs- und Innovationskultur.

Wie haben Sie erkannt, dass Turnschuhe nur ein Hype sind – und kein nachhaltiger Trend?

Erstens weiß ich noch genau, wie ich gespart habe, um wirklich gute Lederschuhe kaufen zu können. Und zweitens war es mir in grenzenloser Überheblichkeit immer wichtiger, inhaltlich modern zu sein, statt das über Äußerlichkeiten zu kommunizieren. Natürlich hat sich die entspannter gewordene Kleidungs-Etikette als Trend etabliert. Und doch bin ich der Überzeugung, dass man sich die Freiheit erarbeiten kann, Trends zu ignorieren und einen eigenen Weg zu gehen.

Gab es Hypes, die sich für Sie im Nachhinein als doch wertvoll herausgestellt haben – obwohl Sie anfangs skeptisch waren?

Agilität war auch so ein Begriff, der erst einmal entfremdet und auf alle möglichen Kontexte übertragen wurde. Da war ich sehr skeptisch. Gleichzeitig hat viel von dem, was unter Agilität verstanden wurde, dazu beigetragen, dass Unternehmen in Deutschland begonnen haben, sich stärker auf Prozesse einzulassen, deren genaues Ende sie noch nicht absehen konnte. Für die Innovationskultur, Kundenzentrierung und Geschwindigkeit sicher ein großer Vorteil.

Und auch die weißen Turnschuhe haben über die Symbolik zum Verständnis beigetragen, dass die Dinge in Unternehmen sich ändern müssen.

Welcher Hype bzw. welches Buzzword nervt Sie aktuell und warum?

Technologieoffenheit. Es nervt mich, dass der Begriff aus meiner Sicht ideologisch aufgeladen wird. Niemand zweifelt daran, dass alle möglichen Technologien genutzt werden müssen, um einer Herausforderung, wie dem Klimawandel zu begegnen. Zugleich wird er genutzt, um an Technologien festzuhalten, die keinen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft leisten. Umgekehrt wird suggeriert, dass man verschlossen für Technologie ist, wenn man z.B. fordert, dass wir uns vom Verbrenner verabschieden sollten. Mich nervt das gar nicht so sehr, weil ich für eine bestimmte Art der Klimapolitik einstehe – vielmehr ist „Technologieoffenheit“ ein typisches Beispiel für einen Begriff, der vor allem symbolisch verwendet wird und dabei politisch aufgeladen ist. Das ist schade, weil wir aus meiner Sicht tatsächlich ein Höchstmaß an Offenheit brauchen werden, um uns als Gesellschaft erfolgreich und nachhaltig weiterzuentwickeln.

Welches Thema hätte es verdient, zum Buzzword/Hype zu werden, aber von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wird?

Unternehmerisch gesprochen: Organizational Debt. Darunter versteht man, mit meinen eigenen Worten gesagt, die organisatorischen Kompliziertheiten, die sich ansammeln, wenn prozessual immer weiter angebaut wird. Irgendwann wird jede Entscheidung schwierig und eine Menge alter Prozesse verlangsamen die Flusseffizienz. Gerade im AI-Zeitalter tödlich, da Automatisierungspotenziale auf chaotisch wirkende Sonderlocken treffen.

Und aus technischer Sicht: Data Contracts. Sauber kuratierte Daten werden wie Programme oder APIs behandelt und an AI-Systeme angebunden. Wenn wir z.B einen AI gestützten Führungs-Coach entwickeln, hilft es uns und den Usern, wenn er auf sauber aufbereitete Daten aus dem Unternehmensumfeld zugreifen kann.

Saubere Daten sind für die künstliche Intelligenz die Grundvoraussetzung, das werden auch wir nicht müde zu wiederholen. Wie gehen Sie ansonsten mit neuen Trends um?

Jeder Trend ist ein Signal für eine Entwicklung, die grundlegender ist und potenziell Relevanz hat. Ich erwähne ein letztes Mal die weißen Turnschuhe. Auch wenn der Trend sich nicht durchsetzt, hat er auf eine Strömung hingewiesen, die Relevanz hat und sich potenziell in anderer Form aufs Neue zeigt. Ich versuche daher, Trends möglichst offen und mit Neugierde zu erkennen, zu verstehen und zu interpretieren. In meiner Rolle insbesondere in Hinblick auf die Frage, was sie für Unternehmen und insbesondere für das Thema Leadership bedeuten. Zugleich versuche ich selbst, alles Mögliche auszuprobieren, mich aber nicht verführen zu lassen, sofort mein ganzes Leben und Arbeiten in Frage zu stellen.

Die AI und ihre Agenten sind in aller Munde. Ist der Hype darum bereits auf seinem Höhepunkt angekommen oder dürfen wir noch mehr erwarten?

AI wird unser Zusammenleben, unsere Arbeitswelt und unseren Umgang mit Technologie vermutlich deutlich grundlegender, aber auch auf andere Art verändern, als wir es heute erahnen können. Ich hoffe, der Höhepunkt des Hypes ist bald gekommen, damit wir uns mit den fundamentalen Herausforderungen beschäftigen können, die uns erwarten.

Was wird aus Ihrer Sicht das nächste große Buzzword bzw. der nächste große Hype?

TFEs. Tech-Free-Encounters. Den Begriff habe ich gerade erfunden, wie vielleicht viele andere Menschen parallel zu mir. Ob es dann so heißt oder anders – wir werden die technologiefreien Räume, die Schallplatte, die Natur, den Besuch bei der Oma als echten Luxus verstehen lernen. Weil wir merken, dass sich hier irgendwas besser anfühlt. Wie die Erinnerung an eine vergangene, unbeschwerte Zeit.

Patrick Wiederhake ist seit Januar 2022 als Managing Director die zentrale Führungspersönlichkeit bei der HR-Beratung Profil M Beratung für Human Resources Management GmbH & Co. KG mit Sitz in Wermelskirchen. Als Diplom-Psychologe mit Weiterbildung in Klärungsorientierter Psychotherapie liegt sein thematischer Fokus auf den Bereichen Executive Assessment, Potenzialanalyse und Management-Diagnostik. Ihm liegt die Förderung moderner Führung und Entwicklungskultur am Herzen sowie die Weiterentwicklung der Talent-Strategie.

Wiederhake ist Mitwirkender des Podcasts Developing Leadership – der Podcast von Profil M und tritt regelmäßig als Speaker auf Fachveranstaltungen wie der TALENTpro auf. Zudem hat er verschiedene Publikationen verfasst und ist Mitherausgeber, u.a. zu den Themen Executive Assessment und Dynamic Resilience Cycle Questionnaire – DRCQ.

 

 

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