Er hat die hyperkonvergente Infrastruktur in Deutschland groß gemacht – und damit ganz nebenbei Nutanix zu erheblicher Bekanntheit verholfen. Das würde er selbst nie von sich behaupten, dafür ist er zu bescheiden, aber Marcus Ehrenwirth, Geschäftsführer der phronesis PR-Agentur, ist der Mann hinter der Erfolgsgeschichte – wer könnte sich besser eignen, uns seine Sicht auf Trends und Buzzwords zu schildern?
Beyond Buzzwords: Herr Ehrenwirth, Sie sind einer der Feingeister der deutschen IT-Szene - welchen Hype haben Sie in Ihrer Karriere mitgemacht, obwohl er Sie eigentlich genervt hat?
Ehrenwirth: Übertreibungen nerven immer. Aber was ich persönlich wirklich sehr bedaure, ist der Hype „Bring Your Own Device“. Er hat das Schicksal des Tastenhandys im Geschäftsalltag besiegelt.
Warum haben Sie ihn trotzdem mitgemacht?
Ich hatte keine Wahl. Jeder Versuch anderer Hersteller, das berühmte BlackBerry-Handy zu erhalten, ist gescheitert. Ich habe es so lange wie möglich hinausgezögert, bin aber tatsächlich dieses Jahr auf eine andere Marke umgestiegen, weil bestimmte Apps nicht mehr unterstützt wurden.
Gab es jemals einen Hype, den Sie so sinnlos fanden, dass Sie ihn nicht mitgemacht haben?
Ich bin mir nicht sicher, ob man von einem regelrechten Hype sprechen kann, aber nach dem Platzen der Dotcom-Blase erinnere ich mich an den Trend der „Industrialisierung von Unternehmenssoftware“ oder so ähnlich. Damit waren aber weniger branchenspezifische Funktionalitäten gemeint als die Botschaft, es gehe ab jetzt nicht mehr so sehr um die zugrunde liegende Technik als um Funktionen allgemein. Das kam mir damals sehr merkwürdig vor, denn diese Botschaft wurde in einer Zeit propagiert, als die ersten Internet-basierten Softwarearchitekturen auf den Markt kamen. Ich hatte damals den Verdacht, dass es vielleicht darum ging, mit diesem Trend sich Zeit zu erkaufen, um die nächste Modernisierungswelle ihrer Lösungen hinauszuzögern. Zum Glück musste ich diesen Hype in meiner Tätigkeit nicht mitmachen.
Wie haben Sie erkannt, dass dieser Hype nur ein Hype ist – und kein nachhaltiger Trend?
Ich muss zugeben, dass ich Zeit gebraucht habe, um diesen Widerspruch zu bemerken. Vielleicht könnte man die allgemeine Regel formulieren: Ein Hype ist nur ein Hype, wenn und solange Möglichkeiten und Interessen auseinanderliegen. Nehmen wir die Dotcom-Blase als Beispiel: Alle sprachen über mögliche und unmögliche Softwarelösungen für das Internet, während zum allergrößten Teil nur die Ausrüster echtes Geschäft machten. Schließlich musste das Internet ja erst als solches weltweit auf- und ausgebaut werden. Erst als die Übernachfrage nach der Infrastruktur nachließ, wurden die Märkte nervös. Erst dann fiel auf, dass hinter zu vielen Versprechungen noch keine praxistauglichen Produkte und Lösungen standen.
Jetzt zurück zu dem kritisierten Trend: Der musste scheitern, als die Versprechungen des Internets mit Zeitverzögerung zwar, am Ende aber doch Wirklichkeit wurden. Das hat irgendwann auf alle Anbieter von Unternehmenssoftware einen so großen Druck ausgeübt, dass sie neue Softwaregenerationen auf den Markt bringen mussten. Am Ende ließen sich die Interessen der Hersteller nicht länger gegen die Möglichkeiten Web-basierender Architekturen ausspielen.
Gab es Hypes, die sich für Sie im Nachhinein als doch wertvoll herausgestellt haben – obwohl Sie anfangs skeptisch waren?
Jetzt bin ich mal ganz grundsätzlich und antworte aus einer Perspektive außerhalb der IT-Industrie: Welcher Hype hat sich denn im Nachhinein wirklich als wertvoll herausgestellt? Das klingt vielleicht merkwürdig angesichts der unglaublichen Summen, die seit Jahrzehnten in die IT gesteckt werden, und der Veränderungen, die sie mit sich bringen. Das Problem ist nur, dass das Bonmot von Robert Solow, des Übervaters der Wachstumstheoretiker auf der ganzen Welt – es stammt übrigens aus den 1980er Jahren – weiterhin unter Ökonomen Gültigkeit hat: „Man kann das Computer-Zeitalter überall sehen, außer in Statistiken zur Produktivität.“
Der Beitrag der IT zur Produktivität unserer Volkswirtschaften ist weiterhin praktisch nicht messbar oder zumindest vernachlässigbar. Wie sehr auch immer IT unser Leben, privat wie beruflich, verändert hat und weiter verändert, stellt sich für mich hier das größte Problem. Gerade in alternden Gesellschaften, nicht nur in Deutschland, sondern ab Mitte des Jahrhunderts auf der ganzen Welt, sind Produktivitätszuwächse das entscheidende Mittel, um unseren Wohlstand zu erhalten und die negativen Folgen unseres bisherigen Wirtschaftens in den Griff zu bekommen. Die zentrale Bedeutung von Produktivität spiegelt sich übrigens ganz aktuell im diesjährigen Frühjahrsgutachten unserer so genannten Wirtschaftsweisen wider, das dem Thema ein eigenes Kapitel widmet.
Die Statistik weist wirklich keine Produktivitätszuwächse durch IT aus? Gerade hat die SAP auf ihrer TechEd in Berlin versprochen, dass die KI zu wenigstens 30 Prozent Produktivitätszuwächse in Unternehmen führen wird.
Bezogen auf Unternehmen ist das wahrscheinlich richtig. Der zitierte Robert Solow – und ich möchte mich hier ihm anschließen – meinte aber die gesamtwirtschaftliche Produktivität. Was wir in den Unternehmen produktiver werden, verdaddeln wir als Wirtschaft und Gesellschaft auf Social Media oder beim Einspielen von Updates etc., um es mal plakativ zu formulieren.
Welches Thema hätte es verdient, zum Buzzword/Hype zu werden, das aber von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wird?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir Buzzwords oder Hypes brauchen. Da würde ich mir ja selbst widersprechen. Ich plädiere eher dafür, der Relevanz wieder die gebührende Ehre zu erweisen und die Themen nach ihrer Relevanz, weniger nach ihrem Sensations- oder Unterhaltungswert und ihrer Massentauglichkeit zu bewerten und zu berücksichtigen. Zum Beispiel verdienen nach meiner Überzeugung die Themen Infrastruktur, IT-Betrieb und Industrie größere Aufmerksamkeit. Dies trifft insbesondere für Deutschland zu, wo gerade im Mittelstand ein ungeheures Innovationspotenzial schlummert. Ohne Infrastruktur, ohne reibungslosen IT-Betrieb, ohne die Innovationskraft der Unternehmen, die nicht im Rampenlicht stehen, aber essenzielle Zulieferer der Großen oder in ihren Nischen Weltmarktführer sind, würde alles stillstehen. Das mag alles nicht sexy sein, doch es ist wahrhaftig relevant.
Wie gehen Sie heute mit neuen Trends um, aktuell ist es ja die AI und ihre Agenten, die alle verrückt machen. Ignorieren Sie das oder interessiert Sie das nach wie vor?
KI und intelligente Agenten sind gekommen, um zu bleiben. Auch hier ist der Hype von der Realität zu trennen. Vieles ist immer noch Phantasie und Phantasterei, doch die zugrundeliegende Technik wird sich durchsetzen, davon bin ich überzeugt. Auch wenn ich den kolportierten Verheißungen skeptisch gegenüberstehe, wäre es doch unvernünftig oder gar ignorant, das Potenzial dieser echten technischen Innovation zu leugnen.
Dessen ungeachtet gilt die Warnung des bekannten Historikers Yuval Harari. Mit der Erfindung des Buchdrucks begann nicht der Aufstieg der Wissenschaften und Aufklärung. Vielmehr wurde sie dazu benutzt, religiöse Pamphlete und den Hexenhammer unter die Leute zu bringen. Erst zweihundert Jahre später waren Religionskriege und Hexenverfolgungen im Großen und Ganzen Geschichte. Harari schließt daraus: „Die Frage ist, wie kreieren wir Institutionen, auf die wir uns verlassen können, damit wir nicht durch 200 Jahre Dunkelheit müssen.“
Ist der Hype um AI bereits auf seinem Höhepunkt angekommen oder dürfen wir noch mehr erwarten?
Sollten die Erfahrungen aus der Dotcom-Blase Bestand haben, dann sind wir noch nicht auf dem Höhepunkt angekommen, sondern befinden uns weiter in der Ausrüstungsphase. Solange diese Phase anhält, wird der Hype wahrscheinlich weitergehen und sich unter Umständen sogar noch verstärken, was Rückschläge an der Börse aber nicht ausschließt.
Was mich nervt, sind die aberwitzigen Thesen und Traumtänzereien, die von den Protagonisten wieder und wieder gestreut werden. Wenn ich mir die Namen anschaue, die Big Tech für seine KI-Rechenzentren und -Modelle wählt, habe ich den Eindruck, dass den KI-Vorreitern durchaus die Ambivalenz ihrer Kreaturen bewusst ist. Ich denke hier an Namen wie Colossus oder Behemoth. Ich kann es nicht beweisen, aber meiner Meinung nach meint Colossus nicht einfach Koloss, sondern ist eine Anspielung auf eine Superintelligenz aus einem Science-Fiction-Film der 1970er Jahre: Anders als ihre Schöpfer dachten, verbrüdert sich die amerikanische Superintelligenz Colossus mit der russischen, um das irdische Paradies zu schaffen. Der Preis dafür lautet das Ende der Freiheit und die totale Herrschaft der Superintelligenz.
Sollte die Menschheit sich weiter faszinieren lassen von der Möglichkeit, ein Monster, einen Golem zu erschaffen, oder KI nicht lieber in konkreten, nutzenstiftenden und wertschöpfenden Anwendungsbereichen einsetzen und weiterentwickeln? Ich meine, die deutsche Wirtschaft bietet die besten Voraussetzungen dafür, solche Szenarien aufgrund ihres Fachwissens mithilfe und jenseits der IT zu identifizieren und damit Produktivitätssprünge zum Wohle aller zu realisieren. Das erscheint mir viel relevanter als die Frage, ob und wann eine Superintelligenz quasi magisch aus den Beschwörungen von Big Tech aufsteigt.
Auch wenn im Augenblick die Mehrzahl der KI-Prototypen laut Analysten nicht über die Pilotphase hinauskommen, werden solche nützlichen und wertschöpfenden KI-Agenten über kurz oder lang entstehen, da bin ich mir sicher. Das wäre meiner Meinung nach der ideale weitere Verlauf des Hypes. Auch unsere Wirtschaftsweisen scheinen ihre Hoffnung darauf zu setzen.
Was wird aus Ihrer Sicht das nächste große Buzzword bzw. der nächste große Hype?
Ich denke, wir sehen die Vorboten bereits. Ich meine damit Quanten-Computing und humanoide Robotik. Aber was auch immer der nächste Hype sein wird, die grundsätzliche Frage bleibt immer dieselbe: Was machen wir daraus? Was wir meiner Meinung nach in Sachen Technik wirklich brauchen, sind Lösungen, nicht Erlösung.
Marcus Ehrenwirth ist der geschäftsführende Gesellschafter und Inhaber der phronesis PR GmbH mit Sitz in Augsburg, die auf Public Relations und Kommunikation spezialisiert ist. Er hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert und absolvierte zudem Programme am Institut d'Études Politiques de Paris (Sciences Po), am ILI Cairo, beim Munich European Forum und den National Model United Nations New York. Neben seiner Rolle als Agenturinhaber ist er auch als freier Journalist, PR-Consultant und Moderator tätig.
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