Mit Thomas Kress befragen wir in unserer Trends&Buzzwords-Interviewreihe einen der profiliertesten IT-Sicherheitsexperten im deutschsprachigen Raum. Nach über 25 Jahren in leitenden Rollen bei internationalen IT-Projekten gründete er sein eigenes Unternehmen CyberKom, dem er heute als Geschäftsführer vorsteht.
Kress ist gefragter Fachautor in führenden IT- und Wirtschaftspublikationen. Als Berater betreut er Unternehmen sowie Systemhäuser in Sicherheitsfragen, Infrastruktur und digitaler Souveränität. Wer, wenn nicht er, könnte die Spreu vom Weizen trennen und aufzeigen, wie man digitale Wertschöpfung dauerhaft stabil, effizient und reproduzierbar aufstellt:
Herr Kress, welchen Hype haben Sie in Ihrer Karriere mitgemacht, obwohl er Sie eigentlich genervt hat?
Die New-Economy-Phase war für mich so ein Moment. Über Nacht galt alles als revolutionär, was nur entfernt digital klang. Viele Unternehmen haben Geschwindigkeit mit Substanz verwechselt, und es entstand eine Art kollektiver Aktionismus. Für jemanden wie mich, der Wert auf belastbare Geschäftslogik legt, war dieses Dauerrauschen eher störend als inspirierend.
Warum haben Sie das Ganze trotzdem mitgemacht?
Weil man sich diesem Sog damals kaum entziehen konnte. Der Markt war in Bewegung, Investoren haben die Takte vorgegeben, und niemand wollte riskieren, einen echten Wendepunkt zu übersehen. Es war eine Mischung aus Verantwortung und der schlichten Angst, strategisch etwas zu verpassen. Rückblickend würde ich sagen: Man hat mitgespielt, weil man es musste, nicht weil man es überzeugend fand.
Gab es jemals einen Hype, den Sie so sinnlos fanden, dass Sie ihn nicht mitgemacht haben?
Ja. Die frühe Metaverse-Euphorie war für mich ein Punkt, an dem ich bewusst auf Abstand geblieben bin. Vieles wirkte wie ein Rennen um Sichtbarkeit, ohne dass eine belastbare Geschäftslogik erkennbar war. Ich setze meine Energie nur dort ein, wo sich ein klarer Nutzen und ein realistischer Reifegrad abzeichnen. Beim Metaverse war das zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht gegeben.
Wie haben Sie erkannt, dass das Metaverse nur ein Hype ist – und kein nachhaltiger Trend?
Ich habe ziemlich früh erkannt, dass dieser Hype nicht die Qualität eines nachhaltigen Trends hatte, weil die entscheidenden Stellgrößen schlicht nicht zusammengepasst haben. Es gab weder klare Anwendungsszenarien noch ein überzeugendes Wertversprechen für Unternehmen oder Kundinnen und Kunden. Vieles wirkte eher wie ein kommunikatives Wettrennen, weniger wie ein marktreifes Ökosystem.
Ich orientiere mich in solchen Situationen immer an drei Fragen: Wo entsteht echter Nutzen, wie tragfähig ist das Geschäftsmodell und wie weit ist die Technologie wirklich? Beim Metaverse blieben alle drei Punkte offen. Und wenn ein Thema mehr Energie in die Erzählung steckt als in die tatsächliche Umsetzbarkeit, ist das für mich ein verlässliches Signal, einen Schritt zurückzutreten.
Gab es Hypes, die sich für Sie im Nachhinein als doch wertvoll herausgestellt haben – obwohl Sie anfangs skeptisch waren?
Ja, den gab es. Bei Bitcoin war ich zu Beginn deutlich zurückhaltend. Die Debatten waren geprägt von viel Lautstärke und wenig belastbarer Substanz, und das Umfeld wirkte eher spekulativ als strategisch. Trotzdem hat sich im Rückblick gezeigt, dass Bitcoin einen Impuls gesetzt hat, der weit über die reine Kryptowährung hinausreicht.
Aus dieser Entwicklung sind neue Denkmodelle entstanden – von dezentralen Strukturen bis hin zu digitalen Assets mit klar definierten Rollen im wirtschaftlichen Kontext. Heute fließen diese Überlegungen in strategische Diskussionen ein, weil sie Perspektiven eröffnen, die vorher schlicht nicht auf dem Radar waren. Meine Skepsis war anfangs nachvollziehbar, aber der langfristige Mehrwert lag darin, dass das Thema eine ernsthafte Auseinandersetzung mit neuen digitalen Fundamenten angestoßen hat.
Welcher Hype bzw. welches Buzzword nervt Sie aktuell und warum?
Aktuell nervt mich vor allem der inflationäre Gebrauch des Begriffs „Transformation“. Das Wort wird mittlerweile für nahezu jedes Vorhaben bemüht, ganz gleich ob es sich tatsächlich um einen tiefgreifenden Wandel handelt oder nur um ein überschaubares Modernisierungsprojekt. Dadurch entsteht eine Erwartungshaltung, die weder realistisch noch hilfreich ist. Aus meiner Sicht gewinnt Transformation erst dann an Bedeutung, wenn sie konsequent hinterlegt ist: klare Zielbilder, echte strukturelle Veränderungen, Verantwortungsverschiebungen, belastbare Umsetzung. Alles andere ist Rhetorik. Genau dieser Unterschied geht im aktuellen Buzzword-Rauschen häufig verloren – und das macht den Begriff für mich zunehmend anstrengend.
Welches Thema hätte es verdient, zum Buzzword/Hype zu werden, aber von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wird?
Ein Thema, das aus meiner Sicht längst mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, ist die konsequente Industrialisierung digitaler Prozesse. Nicht im Sinne neuer Tools, sondern im Sinne belastbarer End-to-End-Fähigkeiten, die Unternehmen wirklich skalierbar machen. Während über neue Technologien viel gesprochen wird, bleibt die Frage, wie man digitale Wertschöpfung dauerhaft stabil, effizient und reproduzierbar aufstellt, weitgehend unter dem Radar. Genau dort liegen aber die eigentlichen Effekte: saubere Prozessarchitekturen, klare Verantwortungslogik, robuste Automatisierung, verlässliche Datenqualität. Das ist kein lautes Thema, aber eines, das Organisationen nachhaltig nach vorne bringt.
Aus meiner Sicht wäre das ein Buzzword wert, weil es den Fokus weg von kurzfristigen Effekten hin zu echter operativer Exzellenz verschiebt. Und genau an dieser Stelle entscheidet sich am Ende, ob Technologien im Unternehmen wirken – oder nur in Präsentationen glänzen.
Wie gehen Sie heute mit neuen Trends um, aktuell ist es ja die AI und ihre Agenten.
Ich gehe neue Trends heute deutlich strukturierter an als früher. Gerade bei Themen wie AI und ihren Agenten prüfe ich zuerst, ob ein klarer geschäftlicher Nutzen erkennbar ist und ob die Technologie in der Praxis den Reifegrad hat, den sie in der Kommunikation verspricht. Mir geht es weniger um die nächste große Vision, sondern um konkrete Hebel, mit denen sich Prozesse vereinfachen, Qualität steigern oder Geschwindigkeit erhöhen lässt.
Wenn diese Punkte stimmen, steige ich früh ein, aber immer mit einem klar definierten Rahmen: Was testen wir, wie messen wir den Effekt und wann skalieren wir? Alles andere ist Experimentieren ohne Richtung. Gleichzeitig beobachte ich sehr genau, wie sich die Technologie in realen Umgebungen verhält. Gerade bei AI-Agenten zeigt sich, dass die Konzepte faszinierend sind, die operative Wirklichkeit aber noch viel Feinarbeit erfordert.
Für mich zählt am Ende, ob ein Trend die operative Realität wirklich verbessert. Wenn das gegeben ist, bin ich offen. Wenn nicht, bleibt es ein Thema für den Beobachtungsmodus – ohne Aktionismus und ohne rhetorische Überhöhung.
Ist der Hype um AI bereits auf seinem Höhepunkt angekommen oder dürfen wir noch mehr erwarten?
Aus meiner Sicht haben wir den Höhepunkt noch nicht erreicht. Wir befinden uns eher in einer Phase, in der die sichtbaren Effekte hinter dem tatsächlichen Potenzial zurückbleiben. Die Technologie entwickelt sich rasant, aber viele Unternehmen stehen noch ganz am Anfang, was Struktur, Datenqualität und operative Einbettung angeht.
Wir werden also noch eine zweite Welle erleben – weniger laut, aber deutlich wirksamer. Dann geht es nicht mehr um beeindruckende Demos, sondern um echte Produktivitätsgewinne, saubere Prozessketten und durchgängig automatisierte Wertschöpfung. Genau dort wird sich entscheiden, wie groß der tatsächliche Impact von AI und ihren Agenten ausfällt.
Im Moment sehen wir vor allem die kommunikative Spitze des Hypes. Die substanzielle Phase steht aus meiner Sicht erst bevor.
Was wird aus Ihrer Sicht das nächste große Buzzword bzw. der nächste große Hype?
Ein Begriff, der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zum nächsten großen Hype entwickeln wird, ist „Autonome Wertschöpfung“. Das Thema taucht bisher nur in Fachkreisen auf, aber es bündelt mehrere Entwicklungen, die gerade an Fahrt aufnehmen: intelligente Agentensysteme, adaptive Prozessketten, selbstoptimierende Plattformen und die Fähigkeit, komplexe Abläufe ohne permanente menschliche Steuerung zu betreiben.
Ich halte das für das nächste große Schlagwort, weil es den Nerv der Zeit trifft. Unternehmen stehen unter enormem Effizienzdruck, gleichzeitig werden Strukturen immer komplexer. Autonome Wertschöpfung adressiert genau dieses Spannungsfeld. Sie verspricht nicht nur Automatisierung, sondern eine operative Logik, die sich selbst organisiert, selbst korrigiert und selbst weiterentwickelt.
Im Moment ist das Thema noch weit weg von breiter Wahrnehmung, aber die technischen Bausteine reifen schnell. Sobald erste Unternehmen zeigen, dass damit echte Produktivitätsgewinne möglich sind, wird sich daraus der nächste große Hype entwickeln – und diesmal einer, der mehr Substanz tragen dürfte als viele seiner Vorgänger.
Herr Kress, wir danken sehr für dieses Gespräch!
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