Die Zukunft ist hybrid - Trendinterview mit Dr.Walter Sun
Dr. Walter Sun, Senior Vice President and Global Head of Artificial Intelligence at SAP, erläutert im Interview mit Beyond Buzzwords, dass er Trends an sich nicht schlecht findet. Speziell die künstliche Intelligenz berge ungeheures Potential und echten geschäftlichen Nutzen.
SAP hat Walter Sun im September 2023 zum Global Head of Artificial Intelligence ernannt. Davor war er als Vice President von Copilot Applied Artificial Intelligence for Business Applications bei Microsoft tätig. Er ist die ideale Besetzung dafür, das Thema Moden, Buzzwords und echte Innovationen in der IT vor allem mit einem Fokus auf das aktuelle Trendthema AI zu analysieren.
Gleich zu Beginn des Gesprächs macht Walter Sun klar, dass er Modeerscheinungen in der IT nicht generell abwerten möchte: Ein Hype sei per se nichts Schlechtes – im Gegenteil:
Sun: Er ist oft ein Vorläufer und eine Voraussetzung für spätere Akzeptanz, da das durch Hype erzeugte Bewusstsein das Potenzial für zukünftige Nutzung schafft“, so Sun im Interview mit Beyond Buzzwords: „Videotelefonie, der Personal Computer und sogar das Internet wirkten einst wie Science-Fiction, wurden aber Realität, sobald zentrale technische Hürden überwunden waren. Tatsächlich galten neuronale Netze, die grundlegende Technologie hinter generativer KI, in den späten 1950er-Jahren als Hype und konnten erst in den letzten zehn Jahren vollständig realisiert werden, als Rechenleistung, Technologie und öffentliche Daten gleichzeitig verfügbar wurden.
Mancher Trend entpuppt sich also als durchaus gehaltvoll. Welchen Hype haben Sie aber in Ihrer Karriere mitgemacht, obwohl er Sie eigentlich genervt hat?
Ergänzend zu meinen ersten Gedanken: Ich sehe Hype-Ereignisse nicht negativ, sondern als gute Gelegenheit, Einblicke in potenzielle neue Technologien zu gewinnen, die wir für unsere Produkte in Betracht ziehen sollten. Auch wenn sich einige gehypte Technologien nicht langfristig durchsetzen, ist das durch Hype erzeugte Bewusstsein vergleichbar mit der Bewertung von Start-up-Ideen, selbst wenn viele davon scheitern, können die wenigen erfolgreichen unsere tägliche Arbeit grundlegend verändern.
Welcher aktuelle Hype oder welches Buzzword nervt Sie, und warum?
Ich denke, die Vorstellung, dass generative KI alle heutigen Systeme obsolet machen wird, ist falsch. Wahrscheinlicher ist eine hybride Zukunft, in der Nutzer flexibel Aufgaben entweder mit Hilfe generativer KI oder auf traditionelle Weise erledigen können. Schlagzeilen vermitteln gerne Extreme, aber wie bei jeder neuen Technologie braucht die Einführung Zeit - insbesondere, wenn Unternehmen neue Fähigkeiten bewerten, testen, einführen und deren Nutzung ausweiten müssen.
Zum Beispiel: Die meisten Menschen müssen heute keine Befehle über die Kommandozeile mehr beherrschen. Aber Power-User und Entwickler benötigen und bevorzugen weiterhin robuste Kommandozeilen-Tools. Sowohl grafische Benutzeroberflächen als auch textbasierte Eingaben stehen je nach Bedarf und Vorliebe zur Verfügung. Unser Ziel ist es, den Zugang und die Arbeit mit SAP-Systemen so einfach wie möglich zu gestalten – sei es direkt über Joule, unseren generativen KI-Copiloten, oder innerhalb der Anwendungen, mit denen unsere Kunden bereits vertraut sind.
Wie gehen Sie heute mit neuen Trends um, aktuell ist es ja die AI und ihre Agenten?
Wir folgen nicht einfach jedem Trend. Bei jeder neuen Technologie prüfen wir, welchen Nutzen sie für unsere Kunden bringt, und entwickeln darauf aufbauend Funktionen, die unseren Unternehmenskunden echten Mehrwert liefern.
Die beste KI ist langweilig und oft merken die Nutzer gar nicht, dass sie sie verwenden. Zum Beispiel können Mitarbeitende auf Geschäftsreise ein Foto ihrer Restaurantquittung direkt in der SAP-Concur-App machen und es wird automatisch dem Spesenbericht hinzugefügt. Sie merken vielleicht nicht, dass hier KI im Einsatz ist, aber sie wissen, dass sie Zeit und Aufwand gespart haben.
Alle sind sich einig: KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wurde. SAP verfügt über unvergleichliche Daten, die das gesamte Unternehmen abdecken, nicht nur ein CRM-System.
Ist der Hype um AI bereits auf seinem Höhepunkt angekommen oder dürfen wir noch mehr erwarten?
Technologischer Fortschritt bringt immer wieder neue Hypes mit sich und KI ist da keine Ausnahme. Für uns stellt sich die Frage: Wie können neue Trends unseren Kunden helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen? KI-Technologien gibt es seit über 70 Jahren, aber das breite Bewusstsein entstand erst mit der Einführung benutzerfreundlicher generativer KI-Tools für Endverbraucher. Es ist zu erwarten, dass es weiterhin Hype geben wird, gefolgt von realisiertem Nutzen durch neue KI-Innovationen, Jahr für Jahr.
Was wird Ihrer Meinung nach das nächste große Buzzword oder der nächste Hype sein?
Multimodale Technologien haben durch beeindruckende Demos viel Aufmerksamkeit erregt – etwa durch Wearables, die Audio, Bilder, Videos und Text erfassen, um KI-gestützte Unterstützung zu bieten. Auch wenn diese Demos oft sorgfältig inszeniert oder im Umfang begrenzt sind, stellen multimodale Fähigkeiten eine natürliche Weiterentwicklung generativer KI dar. Sie könnten unsere tägliche Arbeit und unsere Erfahrungen grundlegend verändern, indem sie Vorschläge und Optimierungen auf neue Weise ermöglichen.
Herr Dr. Sun, wir bedanken uns sehr für das Gespräch!
Zur Person Dr. Walter Sun:
Walter Sun ist Senior Vice President und Global Head of Artificial Intelligence bei SAP. Er leitet die Produktentwicklung der zentralen KI-Einheit. Ziel dieser Einheit ist es, KI in die SAP-Anwendungen zu integrieren und den Standard für vertrauenswürdige Business-KI zu setzen – mit einem Fokus auf große Sprachmodelle, die es KI-Experten ermöglichen, Kunden bei der Nutzung der SAP-Produktpalette umfassend zu unterstützen.
Von 2005 bis 2023 war wer bei Microsoft tätig und bekleidete dort leitende Positionen in der Forschung und Produktentwicklung. Zuletzt leitete er ein interdisziplinäres Team, das geschäftsfähige KI- und maschinelle Lernfunktionen entwickelte. Darüber hinaus gründete er Bing Predicts, das anonymisierte und aggregierte Daten für vorausschauende Analysen nutzte. Zudem lieferte er viele KI-Funktionen für das Microsoft-Portfolio, darunter Anwendungen wie die Bing Suche, Microsoft Windows, Microsoft Dynamics 365 und Microsoft Power Platform.
Davor arbeitete Sun bei BlackRock Financial Management als quantitativer Portfolioanalyst und bei Apple als Senior Software Engineer und Wissenschaftler. Seine angewandte Forschung umfasst Arbeiten in den Bereichen stochastische Prozesse, Signalverarbeitung, maschinelles Lernen und Deep Learning, Betriebsforschung und große Sprachmodelle. Er war außerordentlicher Professor an der Seattle University und Mitglied der Fakultät der Universität von Washington. Derzeit ist er Mitglied des Beirats von Georgia Tech.
Sun promovierte in statistischer Signal- und Bildverarbeitung und Computer-Vision mit Anwendungen in der medizinischen Bildgebung am MIT (Massachusetts Institute of Technology).