Schöner scheitern - Trendinterview mit Shai Agassi
Er war CEO der SAP und hätte mit seinem Start-up Better Place fast die Welt verändert: Shai Agassi gehört zu den umtriebigsten Unternehmern der Welt und ist wie kaum ein anderer dazu berufen, über Trends und Moden in der IT zu sprechen. Gegenüber Beyond Buzzwords beschreibt er, wie er erkannte, dass die Zukunft der Mobilität elektrisch sein wird – und wie seine Vision scheiterte.
Shai Agassi ist ein Unternehmer, der in Deutschland vor allem durch seine Führungsrollen bei SAP und Better Place bekannt wurde. Er kam zu SAP, als der deutsche Softwarekonzern 2001 sein von Agassi mitgegründetes Unternehmen TopTier Software für 400 Millionen Dollar übernahm und wurde daraufhin rasch ein essentieller Teil des Führungsteams: Von 2002 bis 2007 war Agassi Mitglied des Vorstands der SAP AG und President der Products and Technology Group. In dieser Rolle war er für die Entwicklung des gesamten SAP-Produktportfolios und der branchenspezifischen Lösungen verantwortlich.
Agassi galt als Vordenker der SAP. Er trieb die Plattformstrategie des Unternehmens voran und war an der Entwicklung von Schlüsselprodukten wie SAP NetWeaver beteiligt. Obwohl er als potenzieller Nachfolger des damaligen CEOs Henning Kagermann gehandelt wurde, verließ er 2007 das Unternehmen, um die eigene Firma Better Place ins Leben zu rufen. Seine Vision war es, eine globale Infrastruktur für Elektroautos zu schaffen, die das Problem der Reichweitenangst und der langen Ladezeiten lösen sollte: Kunden hätten ein Elektroauto zu einem günstigeren Preis kaufen und die Batterie über ein Abonnement mieten können. An Wechselstationen, vergleichbar unseren heutigen Tankstellen, sollten Roboter in wenigen Minuten eine leere Batterie gegen eine volle austauschen.
Doch es sollte nicht sein: Trotz der Finanzierung von rund 850 Millionen Dollar und der Unterstützung von Regierungen (insbesondere in Israel und Dänemark) meldete Better Place im Mai 2013 Insolvenz an. Agassi ist damit wie kaum ein anderer dazu berufen, über Moden und Trends in der Industrie zu sprechen, so wie er es mit Beyond Buzzwords im September 2025 tat:
Herr Agassi, Sie waren der CEO von Europas größtem Software-Konzern – alles drehte sich bei Ihnen um binären Code und das Erreichen von Geschäftszielen. Wie kamen Sie darauf, in die Automobilbranche zu wechseln?
Agassi: Als ich anfing, mir eine Welt ohne Öl vorzustellen, dachte ich nicht daran, eine Autofirma aufzubauen. Ich stellte eine Frage von nationaler Tragweite: Wie könnte ein ganzes Land sein Mobilitätssystem betreiben, ohne auf Benzin oder Diesel angewiesen zu sein? Diese Frage hat sich sehr schnell auf die persönliche Mobilität eingegrenzt, denn dort ist die Abhängigkeit vom Öl am stärksten ausgeprägt.
Wie haben Sie diese Frage beantwortet?
Die ersten Modelle, die ich untersuchte, waren diejenigen, die bereits in Gang gekommen waren: Das brasilianische Ethanol Modell und die Vision der Wasserstoffwirtschaft. Beide waren faszinierend, aber beide scheiterten am Test der Skalierbarkeit. Ethanol ist im Wesentlichen flüssige Solarenergie - aber es verbraucht riesige Mengen an Land und Wasser für den Anbau von Pflanzen und verschwendet dann noch mehr Energie im Prozess der Verflüssigung und Verteilung. Wasserstoff wiederum ist eine elegante Idee für die Chemie, aber eine schreckliche Idee für die Physik: Jeder Schritt in der Kette - von der Erzeugung des Wasserstoffs über seine Komprimierung oder Verflüssigung bis hin zu seinem Transport und seiner Rückverwandlung in Elektrizität in einer Brennstoffzelle - verliert an Effizienz. Bis die Elektronen von der Quelle zum Rad gelangen, hat man den größten Teil der ursprünglichen Energie vergeudet.
Wie konnten Sie so sicher sein, dass Ihre Einsichten die richtigen sind? Mitte der 0er Jahre schien ja viel möglich zu sein…
Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass keiner dieser Wege leichtfertig verworfen wurde. Jeder dieser Wege erforderte sechs Monate ernsthaften Nachdenkens, Modellierens und Planens, bevor ich ihn aufgab - weil er auf dem Papier einfach nicht die Größenordnung erreichen konnte, um Öl in einem ganzen Land zu ersetzen. Andere hielten leider jahrzehntelang an diesen Ideen fest und verfolgten sie noch lange, nachdem die Physik und die Wirtschaft die Tür geschlossen hatten. Diese Hartnäckigkeit führte dazu, dass in der gesamten Branche viel Zeit und Investitionen verloren gingen.
Elektrizität hat also das Potential, uns weiterhin in Bewegung zu halten – weil sie vergleichsweise einfach zu produzieren und zu verbrauchen ist?
Ja, Elektrizität ist brutal einfach. Man erzeugt Elektronen, speist sie in das Stromnetz ein und nutzt sie mit minimalen Verlusten direkt im Motor. Keine Pflanzen, keine Verflüssigung, keine landesweiten Wasserstoff-Pipelines. Die Infrastruktur ist bereits vorhanden, und Elektronen sind die saubersten und effizientesten Energieträger, die wir haben. Wenn man die Mobilität durch diese Brille betrachtet, ist die Schlussfolgerung unausweichlich: Die Zukunft des Verkehrs muss elektrisch sein.
Bei Better Place haben wir diese Logik noch einen Schritt weiter gedacht: Wenn Strom der sauberste Energieträger ist, dann sind Batterien das fehlende Stück Infrastruktur. Autos müssen schnell aufgetankt werden, und das Netz braucht flexible Speicher. Auswechselbare Batterien bieten beides. Das war der architektonische Sprung, der uns den Weg wies.
Der Weg war der richtige, aber der Zeitpunkt scheint nicht gepasst zu haben? Könnte man das so sagen?
Ja. Und heute können wir sehen, dass eine Architektur, die auf soliden physikalischen und wirtschaftlichen Grundlagen beruht, irgendwann wieder auftauchen wird - wenn nicht in ihrer ersten Inkarnation, dann in späteren Replikationen. Die austauschbare Batterieinfrastruktur ist nun in China und Europa in großem Maßstab wieder aufgetaucht, vorangetrieben von chinesischen OEMs und Batterieherstellern in großem Maßstab. Mehr als ein Jahrzehnt später bestätigen sie, dass die Grundidee nicht nur vernünftig, sondern unvermeidlich war.
Kurz gesagt: Ich habe mich nicht für Elektroantrieb statt für Flüssigbrennstoffe oder Wasserstoff entschieden, weil es in Mode war. Ich habe mich dafür entschieden, weil die Physik und die Skalierbarkeit keine andere Wahl zuließen.
Herr Agassi, wir danken sehr für dieses aufschlussreiche Gespräch!
Zur Person Shai Agassi:
Shai Agassi arbeitet heute als Executive Chairperson für das israelische LiDAR-Unternehmen Makalu Optics. Das Unternehmen befindet sich aktuell im sogenannten "Stealth Mode", also einer Phase, in der es seine Technologie noch nicht offiziell vorstellen will. So viel aber ist bekannt: Makalu Optics entwickelt ein 4D LiDAR-System, das neben den üblichen Raumkoordinaten (x, y, z) auch die Geschwindigkeit von Objekten messen kann. Dieses System ist für den Einsatz in autonomen Fahrzeugen und anderen Anwendungen im Bereich der autonomen Mobilität vorgesehen.
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