Die KI macht uns alle zu Schöpfern - Trendinterview mit Markus Nispel
Markus Nispel ist eine zentrale Führungskraft beim Netzwerkunternehmen Extreme Networks und nimmt dort mehrere hochrangige Positionen ein, u.a. Chief Technology Officer (CTO) EMEA sowie Head of AI-Engineering. Damit ist er Experte für Buzzwords und heiße Luft – aber eben auch für echte Trends, wie er m Interview mit Beyond Buzzwords erläutert.
Nispel hat mehr als 25 Jahre Erfahrung in leitenden Funktionen in den Bereichen Software Engineering, Data Science, Daten-Engineering, Lösungsarchitektur, Innovationsmanagement und Produktmanagement. Er hat mehrere erfolgreiche Geschäftsmodell- und Technologie-Transformationen, einschließlich Fusionen und Übernahmen, geleitet. Bei Extreme Networks nimmt er mehrere hochrangige Positionen ein, u.a. Chief Technology Officer (CTO) EMEA sowie Head of AI-Engineering. Er gilt als Experte für die Integration von KI in Netzwerklösungen (AIOps) und treibt die strategische Richtung für die KI- und ML-Anwendungen voran.
Herr Nispel, welchen Hype haben Sie in Ihrer Karriere mitgemacht, obwohl er Sie eigentlich genervt hat?
Nispel: Das ist schon eine ganze Weile her, damals, als der asynchrone Übertragungsmodus (ATM) der letzte Schrei war. Auch wenn es sich um eine vielversprechende Technologie handelte, die die Branche letztlich nicht verändert hat, so war sie doch eine wertvolle Lernerfahrung und eine Erinnerung daran, dass wir selbst aus vorübergehenden Trends wichtige Lehren ziehen können, wenn es darum geht, in einer sich schnell verändernden Branche beweglich zu bleiben.
Warum haben Sie ihn trotzdem mitgemacht?
Damals schien ATM technisch überlegen zu sein - und war es auch -, so dass man sich leicht von der Aufregung anstecken ließ und glaubte, es könnte das nächste große Ding für Unternehmensnetze werden. In der Praxis stellte sich jedoch heraus, dass es im Vergleich zu Ethernet übermäßig komplex und teuer war. Wie die Geschichte zeigt, konnte es sich nicht richtig durchsetzen und wurde in erster Linie nur von Dienstanbietern frühzeitig übernommen.
Gab es in jemals einen Hype, den Sie so sinnlos fanden, dass Sie ihn nicht mitgemacht haben?
Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich sagen, der BlackBerry. Damals wurde es als unverzichtbares mobiles Gerät gepriesen, aber es konnte nie ganz mit der Flexibilität und Funktionalität der Smartphones mithalten, die den Markt im Sturm eroberten. BlackBerry fiel zurück, weil es sich nur langsam anpasste und sich gegen Innovationen sträubte.
BlackBerry hielt beispielsweise an seiner physischen Tastatur fest, obwohl Touchscreens zum Standard wurden. Auch hielt das Unternehmen an seinem geschäftsorientierten Image fest, anstatt ein breiteres Publikum anzusprechen. Sein Betriebssystem war auch nicht sehr entwicklerfreundlich, was zu einem begrenzten App-Ökosystem führte. In der Zwischenzeit lockten die Konkurrenten Entwickler an, die eine Fülle von Apps und Diensten entwickelten, die die Benutzer bei der Stange hielten. Am Ende konnte BlackBerry nicht mehr mithalten und ist nun ein klassisches Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Unternehmen es nicht schafft, mit dem technologischen Wandel und den sich ändernden Kundenanforderungen Schritt zu halten.
Wie haben Sie erkannt, dass dieser Hype nur ein Hype ist – und kein nachhaltiger Trend?
Ich glaube, der Film darüber erzählt die Geschichte viel besser, als ich es könnte! Aber damals, in Europa, war die Mobilfunkabdeckung in Verbindung mit Laptops bereits so zuverlässig, dass der BlackBerry sich nicht wie ein großes Upgrade anfühlte. Es gab keine revolutionäre Verbesserung der Funktionalität im Vergleich zu dem, was die Leute bereits mit ihren vorhandenen Geräten taten, so dass ich nicht begeistert war, von einem herkömmlichen Mobiltelefon zu wechseln. Und dann kamen die Touchscreen-Geräte auf, die einen solchen Sprung nach vorne bedeuteten, dass der BlackBerry plötzlich veraltet erschien. Deshalb habe ich gezögert, auf den BlackBerry-Zug aufzuspringen, selbst auf dem Höhepunkt des Hypes.
Gab es Hypes, die sich für Sie im Nachhinein als doch wertvoll herausgestellt haben – obwohl Sie anfangs skeptisch waren?
Es geht fast immer etwas Wertvolles aus einem Hype hervor. In einigen Fällen erreicht die Technologie schließlich das Plateau der Produktivität, wie es im Hype Cycle von Gartner beschrieben wird. Dieser Zyklus veranschaulicht den Lebenszyklus einer Technologie vom ersten Durchbruch über den Medienhype und die überhöhten Erwartungen bis hin zur allgemeinen Akzeptanz. Wenn eine Technologie nicht den gewünschten Erfolg bringt, stellen sich Enttäuschung und Ernüchterung ein, aber im Laufe der Zeit entdecken die ersten Nutzer den tatsächlichen Wert der Technologie, was zu einer weit verbreiteten Übernahme und Integration in den Alltag führt, dem Stadium, das als Plateau der Produktivität bekannt ist.
Die Spracherkennung zum Beispiel folgte diesem Weg und entwickelte sich von frustrierenden frühen Systemen zu einer zuverlässigen, unverzichtbaren Funktion in Smartphones, Sprachassistenten und vielen anderen Geräten und Anwendungen, die wir täglich nutzen. In anderen Fällen liegt der wahre Wert eines Hypes nicht in der Technologie selbst, sondern darin, wie sie den Markt prägt und Lücken aufdeckt, die geschlossen werden müssen. Selbst wenn sich eine bestimmte Technologie nicht durchsetzt, lernen Unternehmen und Nutzer aus dem Prozess oft, welche Lösungen wirklich wertvoll sind, und können so die künftige Entwicklung und Innovation auf sinnvolle Weise beeinflussen.
Wie gehen Sie heute mit neuen Trends um?
Wir analysieren neue Trends sorgfältig, um sowohl Chancen als auch Risiken zu erkennen, und reagieren dann entsprechend. Dieser Ansatz ist eigentlich die Kernaufgabe des Office of the CTO bei Extreme, das ich mitbegründet habe und nun tagtäglich leite.
Welcher Hype bzw. welches Buzzword nervt Sie aktuell und warum?
Die künstliche allgemeine Intelligenz (KI) ist ein Schlagwort, das ein wenig frustrierend sein kann. Zweifellos verändert KI die Gesellschaft, ähnlich wie die industrielle Revolution, die Elektrizität, das Internet oder die Mobiltechnologie. Aber im Kern ist sie ein Werkzeug. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, zu lernen, wie man es effektiv einsetzt, anstatt den Erwartungen eines „Moonshot“ hinterherzulaufen. Um sicherzustellen, dass diese Technologie sinnvolle Anwendungsfälle mit messbarem ROI hervorbringt, ist es wichtig, frühzeitig einen klaren Business Case zu erstellen und sich auf hochwertige Initiativen zu konzentrieren. Der Versuch, den Erfolg von KI abzukürzen, ist der sicherste Weg, einen Misserfolg zu garantieren.
Welches Thema hätte es verdient, zum Buzzword/Hype zu werden, aber von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wird?
In der Tech-Branche gibt es sehr, sehr viele Buzzwords! Dennoch habe ich in letzter Zeit den Begriff "AI Mesh" verwendet, um zu beschreiben, wie Unternehmen sowohl ihre KI-Bemühungen als auch ihre Organisationen strukturieren sollten, um die Wirkung zu maximieren. Diese Idee wurde durch das vor einigen Jahren eingeführte Konzept des Daten-Mesh inspiriert.
AI Mesh verteilt KI-Fähigkeiten auf verschiedene Geschäftsbereiche und ermöglicht es Teams, KI-Agenten mit dem Wissen, den Tools und den Berechtigungen zu entwickeln, zu integrieren und zu betreiben, um in ihrem spezifischen Kontext zu agieren, während eine zentrale Plattform Governance, Infrastruktur und Know-how bereitstellt. Dieser Ansatz ist besser als zentralisierte "Tigerteam"-Modelle, da er effektiver skaliert, gewährleistet, dass die Lösungen für jeden Bereich relevant sind, und Innovationen fördert.
Für Unternehmen, die KI einführen, ihre Fähigkeiten skalieren und wettbewerbsfähig bleiben wollen, ist AI Mesh heute unerlässlich. Es fördert die bereichsübergreifende Zusammenarbeit, beschleunigt die Einführung, sorgt für verantwortungsvolle KI-Praktiken und treibt letztlich die Schaffung neuer Kundenerfahrungen und Innovationen voran.
Ist der Hype um AI bereits auf seinem Höhepunkt angekommen oder dürfen wir noch mehr erwarten?
Es wird definitiv noch mehr kommen, und das ist mehr als nur ein Hype. Die KI entwickelt sich zu einer Allzwecktechnologie, und wir stehen noch ganz am Anfang ihres Potenzials. In diesem Sinne ist sie gleichzeitig überbewertet und unterbewertet.
Was wird aus Ihrer Sicht das nächste große Buzzword bzw. der nächste große Hype?
Die KI wird uns in den kommenden Jahren beschäftigen und neue Trends und Hypes hervorbringen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Während der nächste große Schritt AGI sein könnte, erleben wir bereits einen tiefgreifenden Wandel in der Art und Weise, wie Software durch KI-natives Software-Engineering erstellt wird. Aufbauend auf dem aktuellen „Vibe Coding“-Hype befähigt dieser Trend jeden dazu, zum Schöpfer zu werden. Traditionelle Software-Architektur-Fähigkeiten bleiben wertvoll, aber ein Großteil der eigentlichen Programmierung wird zunehmend von KI übernommen.
Der Hype dreht sich nicht nur um die KI selbst, sondern auch darum, wie die KI die Softwareentwicklung verändert, sie schneller, zugänglicher und intelligenter macht und die Demokratisierung der Kreativität vorantreibt. Dadurch entsteht eine neue Generation von KI-gestützten Entwicklern, die eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Technologie spielen werden.
Herr Nispel, wir bedanken uns sehr für das Gespräch!
Zur Person Markus Nispel:
Markus Nispel trägt den Titel Chief Technology Officer (CTO) EMEA, Head of the Office of the CTO, Head of AI Engineering, Extreme Networks. ER ist seit 2013 bei Extreme in verschiedenen Führungspositionen in der Softwareentwicklung, im Aufbau von neuen Entwicklungsteams und der Technologie-Strategie tätig. In seiner Rolle als Chief Technology Officer (CTO) EMEA verantwortet er heute die technologische Gesamtstrategie in der EMEA-Region und treibt Innovationsinitiativen mit Schwerpunkt auf Künstlicher Intelligenz, Data und Analytics voran. Seine weiteren Positionen als Head of the Office of the CTO und Head of AI Engineering unterstreichen sein Engagement, KI-gestützte Lösungen und datenbasierte Funktionen im Portfolio von Extreme Networks weiterzuentwickeln.
Mit mehr als 30 Jahren Erfahrung in der Netzwerk- und Telekommunikationsindustrie gehört Markus Nispel zu den Vordenkern der Branche. Vor seiner Tätigkeit bei Extreme Networks war er u.a. als Chief Technology Strategist und Vice President Solutions Architecture bei Enterasys Networks tätig und hatte Funktionen im Pre- und Postsales bei Cabletron Systems, E-Plus und der Deutschen Telekom inne.
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