Der Weg in die Cloud kann hybrid sein
Thomas Knorr ist Director Cloud Transformation beim ERP-Spezialisten Forterro. Wir haben ihn nach seiner Meinung nach gangbaren Wegen in die Cloud für den Mittelstand befragt. Eine valide Option sei ein hybrides Modell, es biete Flexibilität und erleichtere die Migration.
Herr Knorr, wo fällt die Einhaltung von Vorgaben bzgl. Compliance und Datenschutz leichter: On-Prem oder in der Cloud?
Die Einhaltung von Compliance- und Datenschutzanforderungen ist in der Cloud tendenziell einfacher als bei On-Prem-Lösungen. Viele frühere Bedenken hinsichtlich Sicherheit und Kontrolle in Cloud-Umgebungen entsprechen heute nicht mehr dem Stand der Technik. Moderne Cloud-Lösungen mit Single-Tenant-Architekturen zeichnen sich durch hohe Verfügbarkeit, Stabilität, Flexibilität und umfassende Sicherheitsstandards aus. Das Lifecycle-Management inklusive Monitoring, Upgrades und Sicherheitspatches wird häufig vom Anbieter übernommen. Dies ermöglicht ein hohes Sicherheitsniveau und trägt dazu bei, Datenschutz- und Compliance-Anforderungen im Vergleich zu herkömmlichen On-Premise-Systemen effizienter zu erfüllen.
Darüber hinaus entlastet die Nutzung von ERP als SaaS die internen IT-Teams, die angesichts des Fachkräftemangels und zunehmender Cyberrisiken häufig an der Kapazitätsgrenze arbeiten, und macht sie verfügbar für wertschöpfendere Tätigkeiten im Sinne einer Business-IT. Doch trotz der Vorteile der Cloud ist die Absicherung der unternehmenseigenen IT-Infrastruktur - sowohl der Server als auch der Endgeräte - unerlässlich, um Unternehmensdaten sicher zu schützen.
Lokale Speichersysteme offerieren oftmals schnellere Zugriffszeiten als die Cloud, insbesondere bei der Verarbeitung von Big Data. Sollten zeitsensitive Firmen trotzdem in die Cloud wechseln?
Die Entscheidung für oder gegen die Cloud ist für zeitkritische Unternehmen komplexer als nur ein Vergleich der Zugriffszeiten. Lokale Systeme bieten zwar oft schnellere Zugriffszeiten, insbesondere bei Big Data, aber die Cloud punktet mit anderen Vorteilen, die für zeitkritische Anwendungen entscheidend sind: Hohe Verfügbarkeit und Redundanz minimieren Ausfallzeiten, während die flexible Skalierbarkeit der Ressourcen (Speicher, Rechenleistung) eine schnelle Anpassung an Bedarfsspitzen ermöglicht.
Oft ist ein hybrider Ansatz eine sehr gute Lösung, welche die Stärken beider Welten vereint. Zeitkritische Prozesse und die Verarbeitung großer Datenmengen bleiben lokal, während weniger zeitkritische Anwendungen und Daten in die Cloud migriert werden. So profitieren Unternehmen von den Geschwindigkeitsvorteilen lokaler Systeme und gleichzeitig von der Flexibilität und Skalierbarkeit der Cloud.
Die Wahl der richtigen Cloud-Lösung und -Infrastruktur (z.B. dedizierte Schnittstellen, spezialisierte Anwendungen, skalierbare Cloud-Services) ist entscheidend, um die Leistungsfähigkeit des hybriden Szenarios optimal zu nutzen.
Sie haben viele Jahre Erfahrung: Wo können Mittelständler ihre ERP-Anwendung leichter, schneller und flexibler an ihre Anforderungen anpassen: In der Cloud oder on-Prem?
Mittelständler können ihre ERP-Anwendungen in der Cloud oft leichter, schneller, flexibler und vor allem sicherer in einer Single-Tenant Cloud anpassen als in On-Premise-Umgebungen. Solche Cloud-ERP-Lösungen bieten durch ihren modularen Aufbau eine hohe Anpassungsfähigkeit und ermöglichen die zügige Integration neuer Funktionen.
Geschäftsprozesse lassen sich so optimieren, ohne tiefgreifende Änderungen an der eigenen IT-Infrastruktur vornehmen zu müssen. Im Gegensatz dazu sind On-Premise-Lösungen aufgrund der häufig alten Versionsstände oft weniger flexibel und erfordern bei Anpassungen größere Eingriffe in die vorhandene IT-Infrastruktur.
Ein weiterer Vorteil ist die Skalierbarkeit der Cloud: Wächst das Unternehmen oder ändern sich die Anforderungen, kann die ERP-Lösung flexibel angepasst werden. Das geht zwar nicht ohne zusätzliche Kosten für die benötigten Cloud-Ressourcen, vermeidet aber Investitionen in neue Hardware. Auch die Integration mit anderen Cloud-Diensten (CRM, E-Commerce etc.) ist oft einfacher, insbesondere wenn die Dienste vom selben Anbieter kommen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Umsetzungsgeschwindigkeit. Im Gegensatz zu traditionellen On-Premise-Lösungen, bei denen Anwender oft lange auf notwendige IT-Änderungen warten müssen, versprechen Cloud-Anbieter in der Regel eine kurzfristige Umsetzung neuer Kundenanforderungen und bieten damit eine deutlich höhere Reaktionsfähigkeit.
Denken wir bspw. an Machine-Learning-Szenarien, so laufen die Algorithmen häufig auf großen Datenmengen, die sich in der Cloud befinden. Eine Integration von Machine Learning gestaltet sich daher in ein Cloud-ERP häufig einfacher.
Sparen Mittelständler durch die Auslagerung der Daten an einen Cloud-Anbieter generell Kosten ein oder sollte man hier genau hinschauen?
Cloud-Lösungen bieten Mittelständlern großes Potenzial zur Kostenoptimierung und -kontrolle, wobei eine pauschale Aussage über Einsparungen schwierig ist. Ein wichtiger Vorteil ist die flexible Skalierbarkeit der Speicherkapazität. Unternehmen zahlen nur für den tatsächlich genutzten Speicherplatz und können diesen dynamisch anpassen, ohne in neue Hardware investieren zu müssen. Dadurch entfallen Kosten für Server, Festplatten und den damit verbundenen Stromverbrauch.
Darüber hinaus reduzieren sich die Ausgaben für IT-Personal, da Wartung, Updates, Backups und Monitoring in der Regel vom Cloud-Anbieter übernommen werden. Diese Kosten sind meist im Service-Paket enthalten und somit planbar.
Trotz dieser Vorteile ist eine sorgfältige Analyse der individuellen Anforderungen unerlässlich. Die Wahl der falschen Cloud-Lösung oder ungünstige Vertragsbedingungen können zu unerwarteten Kosten führen. Mittelständische Unternehmen sollten daher vor einem Wechsel in die Cloud den tatsächlichen Speicherbedarf, die Nutzungsintensität sowie zusätzliche Kosten, z.B. für Datentransfer oder Support, prüfen.
Je näher eine Applikation an den Kernprozessen eines Unternehmens liegt, desto sensibler ist es, sie in der Cloud zu betreiben, heißt es. Deshalb sind komplexe und stark modifizierte Applikationen oft weiterhin als On-Premise implementiert. Umgekehrt bedeutet das: Je weiter entfernt eine Anwendung von den Kernprozessen ist, desto einfacher lässt sich diese in der Cloud umsetzen, oder?
Die Aussage, dass die Nähe einer Anwendung zu den Kernprozessen eines Unternehmens ihre Eignung für die Cloud beeinflusst, ist nur bedingt richtig. Die Bedenken hinsichtlich Sicherheit und Anpassbarkeit, die viele Unternehmen heute noch gegenüber der Cloud haben, sind oft unbegründet, da Cloud-Anbieter zunehmend Lösungen mit höherer Anpassbarkeit und besserer Sicherheit anbieten, so dass auch kernnahe Prozesse problemlos in der Cloud abgebildet werden können. Damit ist die Cloud auch für komplexe und stark modifizierte Anwendungen, die eng mit den Kernprozessen verknüpft sind, eine realistische Option. Entscheidend ist die Wahl der richtigen Cloud-Lösung und des passenden Anbieters.
Und sollten ERP-Anwender vielleicht lieber zweigleisig fahren und sowohl Apps für die Cloud als auch für den On-Premise-Einsatz nutzen?
Für KMU, die ihre Daten in der eigenen Organisation behalten und dennoch auf moderne SaaS-Software setzen möchten, ist die Hybrid Cloud ein attraktiver Ansatz. Obwohl laut der Auch wenn laut der Studie „ERP Barometer 2024“ derzeit nur eine Minderheit der KMU (lediglich 16 Prozent) einen hybriden Ansatz verfolgt, stellt er eine attraktive Option für Unternehmen dar, die nicht sofort alle Anwendungen in die Cloud migrieren wollen oder können. Ein hybrider Ansatz minimiert die Risiken und erleichtert den schrittweisen Übergang in die Cloud, indem er den Unternehmen die Möglichkeit gibt, Erfahrungen mit Cloud-Lösungen zu sammeln, bevor sie vollständig migrieren. So können bestimmte Anwendungen, die besonders sensibel sind oder besondere Anforderungen stellen, weiterhin vor Ort betrieben werden, während andere, weniger komplexe oder Cloud-nähere Anwendungen in die Cloud verlagert werden.
Auf diese Weise können sie die Vorteile beider Welten nutzen: Die Flexibilität und Skalierbarkeit der Cloud für bestimmte Anwendungen, kombiniert mit der Kontrolle und Sicherheit von On-Premise-Lösungen für andere Bereiche. Ein hybrides Modell bietet somit Flexibilität und erleichtert die Migration in die Cloud.
Herr Knorr, wir danken für das Gespräch!
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