Auch zentrale Anwendungen gehören in die Cloud

Beitrag von Dietmar Müller

Chefredakteur Beyond Buzzwords

19. Februar 2025

Die SAP rät ihren Anwender*innen unter dem Motto „Cloud first” zu einem schnellen Wechsel in die Cloud. Das mag den einen oder anderen Mittelständler noch überfordern.

Dass der Weg dennoch der richtige ist, zeigen Andy Schäfer, Leiter des Geschäftsbereichs Enterprise Growth Customers / Wachstumskunden und Mitglied der Geschäftsführung, SAP Deutschland, sowie Timo Deiner, Head of Innovation & Technology, MEE, SAP, im Interview auf.

Herr Schäfer, Herr Deiner, Sie sind Praktiker. wo fällt Ihrer Erfahrung nach die Einhaltung von Vorgaben bezüglich Compliance und Datenschutz leichter: OnPrem oder in der Cloud?Image (2)

Timo Deiner: Auf den ersten Blick erscheint die Einhaltung der Vorgaben on-premise einfacher, weil man die vermeintliche Kontrolle über seine Infrastruktur hat, außerdem macht man sich nicht abhängig von Drittanbietern. Allerdings haben diese Aspekte auch bedeutende Nachteile: Unternehmen müssen sich selbst darum kümmern, alle Systeme auf dem aktuellen Sicherheitsstand zu haben. Das bindet Ressourcen in der IT, erhöht die Kosten und nimmt gleichzeitig die Flexibilität und verringert die Innovationskraft. Da der Betrieb eigener IT Infrastruktur in den meisten Unternehmen nicht zu den wettbewerbsdifferenzierenden Themen gehören, bietet es sich an, diesen Betrieb an erfahrene Partner auszulagern, deren Kerngeschäftsmodell darin besteht, eine sichere und zeitgemäße und vor allem aktuellste Infrastruktur bereit zu stellen. Alle großen Cloud Anbieter bieten umfassende Zertifizierungen wie z.B. ISO 27001 an. Durch den „Konsum“ standardisierter Cloud-Infrastruktur sparen Unternehmen nicht nur Kosten, sondern erhöhen gleichzeitig die Sicherheit und Compliance und können besser skalieren.Andy Schäfer SAP

Andy Schäfer: Genau, Timo. Die Flexibilität und Skalierbarkeit der Cloud ist unbestritten. Aber um die bestmögliche Entscheidung zu treffen, ist eine individuelle Analyse der spezifischen Anforderungen und Ziele des Unternehmens notwendig. Es ist wichtig, alle Aspekte zu berücksichtigen, von den direkten Kosten bis hin zu den potenziellen Risiken und Vorteilen.

Lokale Speichersysteme offerieren in der Regel schnellere Zugriffszeiten als die Cloud, insbesondere bei der Verarbeitung von Big Data. Sollten zeitsensitive Firmen trotzdem in die Cloud wechseln?

Andy Schäfer: Ich verstehe das Anliegen, denn Geschwindigkeit ist entscheidend, besonders bei der Verarbeitung großer Datenmengen. Aber die Cloud hat durch Technologien wie Edge Computing und spezialisierte Dienste erheblich aufgeholt. Edge Computing bringt Rechenleistung näher zum Datenursprung, dies minimiert die Latenzzeiten.

Timo Deiner: Um das etwas zu veranschaulichen, Andy: Edge Computing lässt sich ein wenig mit einer Autobahn vergleichen. Das Cloud ERP ist die Verkehrsleitzentrale, die den gesamten Verkehr steuert und anhand gesammelter Daten Analysen für zukünftige Verkehrsführungen durchführt. Der Edge Computer hingegen ist ein lokales Verkehrsleitsystem an einer Kreuzung oder eine Schilderbrücke mit Tempolimits, die wir alle auf der Autobahn so lieben. Diese Systeme können blitzschnell auf Staus reagieren und entsprechende Aktionen einleiten, ohne erst Rücksprache halten zu müssen. Das Konzept lässt sich beispielsweise auch auf die Fertigung übertragen: die Produktionsaufträge, Planung und Materialbeschaffung werden im Cloud ERP koordiniert und der Edge Server auf der Produktionsstraße sammelt die Sensordaten der Maschinen und kann kritische Steuerungsprozesse in Echtzeit ausführen, ohne auf die Cloud angewiesen zu sein.

Wo können Mittelständler ihre ERP-Anwendung leichter, schneller und flexibler an ihre Anforderungen anpassen: In der Cloud oder on-Prem?

Timo Deiner: Ganz klar in der Cloud. Durch regelmäßige Updates sind insbesondere Public-Cloud-ERP-Systeme ständig auf dem neuesten Softwarestand und Anwender*innen können sofort von den neuesten Innovationen profitieren. On-Prem wurden solche Dinge häufig manuell nachentwickelt und mussten integriert und später „mitgezogen“ werden. Heute passen Kundinnen und Kunden in der Cloud ihren „Clean Core“ über eine Erweiterungsplattform an und entwickeln dort wettbewerbsdifferenzierende Anwendungen, die im Standard nicht enthalten sind. Diese Systemlandschaften sind modular und erlauben eine flexible Anpassung an spezielle Bedürfnisse, ähnlich einem Lego-Bausatz.

Andy Schäfer: Stellen Sie sich vor, Ihr Auto könnte während der Fahrt Updates installieren, ohne den Umweg in die Werkstatt. Genau das bieten Cloud-ERP-Systeme durch kontinuierliche Integration und Innovation. In der Cloud lassen sich zusätzlich neue Module leicht integrieren, wodurch Unternehmen schneller Anpassungen durchführen können. Besonders für Mittelständler, die flexibel auf Marktveränderungen reagieren müssen, ist das ein entscheidender Vorteil.

Sparen Mittelständler durch die Auslagerung der Daten an einen Cloud-Anbieter generell Kosten ein oder sollte man hier genau hinschauen?

Andy Schäfer: Kosteneinsparungen sind durchaus möglich, da Cloud-Anbieter Skaleneffekte und Pay-as-you-go Modelle bieten. Allerdings müssen die spezifischen Bedürfnisse eines Unternehmens genau analysiert werden. Sie könnten beispielsweise beim Einkauf sparen, ähnlich wie bei einem Großhandel, aber die spezifischen Anforderungen entscheiden letztlich über die tatsächlichen Einsparpotenziale.

Timo Deiner: Es ist wie bei einem All-Inclusive-Urlaub: Man bekommt oft mehr für sein Geld, aber es ist wichtig, die Details genau zu prüfen. Neben den direkten Kosten sollten Unternehmen auch die indirekten Vorteile berücksichtigen, wie die Reduzierung der IT-Wartungskosten und die Verbesserung der Sicherheit und Compliance. Es lohnt sich, die ganzheitlichen Effekte einer Cloud-Migration zu betrachten, um eine fundierte Entscheidung zu treffen.

Je näher eine Applikation an den Kernprozessen eines Unternehmens liegt, desto sensibler ist es, sie in der Cloud zu betreiben, heißt es. Deshalb sind komplexe und stark modifizierte Applikationen oft weiterhin als OnPrem implementiert. Umgekehrt bedeutet das: Je weiter entfernt eine Anwendung von den Kernprozessen ist, desto einfacher lässt sich diese in der Cloud umsetzen, oder?

Timo Deiner: Könnte man so stehen lassen, aber mir fehlt eine Perspektive: Häufig sind Applikationen und Systemlandschaften Jahrzente gewachsen und wurden mit den damals verfügbaren Prozessen aufgebaut. Wir hören oft von unseren Kunden, dass ihre Prozesse „ganz speziell und einzigartig“ sind. Wenn unsere Architekten eine Bestandsaufnahme durchführen, stellen sie oft fest dass man heute sehr viel im Standard umsetzen kann. Desto wichtiger ist es, dass Unternehmen sich erstmal an den Fit-to-Standard Ansatz halten.

Andy Schäfer: Stimmt genau, Timo. Aber man könnte es auch so betrachten: Stellen Sie sich vor, Sie renovieren ein Haus. Man beginnt vielleicht im Gästebad und arbeitet sich dann in den Hauptbadezimmern vor. Es gibt jedoch zunehmend Kernprozesse, die von den Vorteilen der Cloud profitieren können, wie Skalierbarkeit und Zugänglichkeit. Es ist daher sinnvoll, auch zentrale Anwendungen einer Cloud-Umsetzung zu prüfen, sobald Sie positive Erfahrungen mit peripheren Anwendungen gemacht haben.

Sollten ERP-Anwender*innen vielleicht lieber zweigleisig fahren und sowohl Apps für die Cloud als auch für den On-Premise-Einsatz nutzen?

Timo Deiner: Die Zukunft liegt definitiv in der Cloud. Aktuell finden einige Unternehmen in hybriden Szenarien eine gute Übergangslösung, weil manche Systeme sowieso schon als „end of life“ eingeplant sind und ein Umzug in die Cloud nicht mehr sinnvoll wäre, wenn das System in wenigen Jahren sowieso abgeschaltet wird.

Andy Schäfer: Timo, dem kann ich nichts hinzufügen. Du triffst es auf den Punkt.

Herr Schäfer, Herr Deiner, wir danken für das Gespräch!

 

 

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