Cloud-Lösungen in der Fertigung sind echte Exoten

Beitrag von Dietmar Müller

Chefredakteur Beyond Buzzwords

19. Februar 2025

Alexander Krauter, Product Strategy Manager Cloud bei Proalpha im Interview.

Der Übergang in die Cloud sollte nur sehr behutsam erfolgen, meint Alexander Krauter. Im Interview legt er den aus seiner Sicht richtigen Weg für den Mittelstand in die Cloud dar.

Herr Krauter, Sie sind Praktiker. Wo fällt Ihrer Erfahrung nach die Einhaltung von Vorgaben bezüglich Compliance und Datenschutz leichter: OnPrem oder in der Cloud?

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Die Einhaltung von Compliance und Datenschutz kann sowohl in On-Premise- als auch in Cloud-Umgebungen unterschiedlich herausfordernd sein. On-Premise-Lösungen bieten Unternehmen volle Kontrolle über ihre Infrastruktur, Anwendungen und Daten, was insbesondere bei strengen Datenschutzanforderungen ein Vorteil sein kann. Unternehmen können sicherstellen, dass keine Daten außerhalb ihres Netzwerks gespeichert werden. Die Verwaltung der Compliance ist jedoch ressourcenintensiv und erfordert kontinuierliche Wartung und meist höchste Disziplin. Regelmäßige Audits und die Implementierung neuer Sicherheitsmaßnahmen sind notwendig, um Vorschriften zu erfüllen. Die Komplexität und Kosten einer On-Premise-Lösung können hoch sein, vor allem, wenn das Unternehmen nicht über die nötige Expertise oder Ressourcen verfügt.

In Cloud-Umgebungen bieten Hyperscaler in aller Regel fortschrittliche Sicherheits- und Compliance-Tools, die die Einhaltung von Vorschriften erleichtern. Cloud-Anbieter bieten auch Zertifizierungen, die die Erfüllung von Datenschutzvorgaben wie der DSGVO unterstützen. Cloud-Lösungen sind daher meist kostengünstiger und skalierbar, da die Infrastruktur vom Anbieter verwaltet wird. Zudem bieten viele Anbieter mittlerweile auch die Möglichkeit, die Daten in Rechenzentren in Deutschland zu speichern und somit Kontrolle über den physischen Standort der Daten zu behalten.

Die Wahl zwischen On-Premise und Cloud hängt letztlich stark von den spezifischen Anforderungen des Unternehmens ab. On-Premise bietet mehr Kontrolle, erfordert jedoch mehr Verwaltungsaufwand und erzeugt dadurch meist höhere Kosten. Cloud-Lösungen bieten Automatisierungen, eine schnelle Verfügbarkeit sowie Skalierbarkeit. Eine hybride IT-Landschaft ist letztlich meist das, was wir im ERP-Umfeld bei unseren Kundinnen und Kunden vorfinden.

Lokale Speichersysteme offerieren in der Regel schnellere Zugriffszeiten als die Cloud, insbesondere bei der Verarbeitung von Big Data. Sollten zeitsensitive Firmen trotzdem in die Cloud wechseln?

Unternehmen, die Daten in der Public Cloud lagern oder verarbeiten, müssen in der Tat auf einige Kriterien achten, damit Daten und Anwendungen gemäß ihrer Erwartungshaltung verarbeitet werden können. Eine der wichtigsten Kennzahlen ist die Latenz der jeweiligen Cloud-Umgebung. Die Latenz ist die Verzögerung bei der Kommunikation im Netzwerk. Sie zeigt die Zeit an, die Daten für die Übertragung über das Netzwerk benötigen und ist von verschiedenen Faktoren abhängig: Entfernung zwischen Sender und Empfänger, Übertragungsmedien in der lokalen Infrastruktur, Größe der Datenpakete aber auch der Bandbreite am Standort des Anwenders.

Es gibt verschiedene Technologien, die Latenz im Cloud-Speicher zu minimieren. Eine Möglichkeit ist die Nutzung eines Content Delivery Network (CDN). Ein CDN ist ein Netzwerk von Servern, die geografisch verteilt sind, um die Distanz, die Daten zurücklegen müssen, zu verringern. Eine weitere Möglichkeit ist Edge Computing. Hier erfolgt die Datenverarbeitung am Rande des Netzwerks, sprich näher am Benutzer. Dadurch verkürzt sich die Zeit, die Daten für die Hin- und Rückübertragung zwischen Benutzer und dem Cloud-Speicheranbieter benötigen.

Auf dem Weg in die Cloud ist es für Unternehmen daher wichtig, verschiedene Cloud-Provider zu vergleichen, bevor sie eine Entscheidung treffen. Im Markt gibt es eine ganze Reihe von Cloud-Speicheranbietern, die geringe Latenz, schnelle Datenübertragung und eine gut konzipierte Netzwerkinfrastruktur bieten. Es überrascht nicht, dass auch hier die großen Hyperscaler mit von der Partie sind, die zudem ständig neue und innovative Funktionen bereitstellen, um die Performance weiter zu verbessern und so die Latenz zu reduzieren.

Wo können Mittelständler ihre ERP-Anwendung leichter, schneller und flexibler an ihre Anforderungen anpassen: In der Cloud oder onPrem?

Wie intensiv Unternehmen – ungeachtet der Branche – ihr ERP in Richtung Cloud lenken, hängt sehr stark vom jeweiligen Standardisierungsgrad des Kunden und der Branchenerfahrung des Anbieters ab. Gerade mittelständische Unternehmen in Deutschland legen viel Wert auf ihre Individualität verbunden mit spezifischen Modifikationen ihrer Anwendungen, was zum Teil einen Wettbewerbsvorteil darstellt, aber in puncto Cloud-Readiness auch eine Kehrseite in Sachen Aufwände hat.

Die Mehrheit mittelständischer Fertigungsunternehmen setzt im ERP-Umfeld nach wie vor auf On-Premise. Hybride Implementierungen sind jedoch auf dem Vormarsch. Reine Cloud-Lösungen in der Fertigung hingegen sind Stand heute noch echte Exoten. Das liegt vor allem darin begründet, dass ERP-Systeme immer unternehmenskritisch und im Systemverbund eines Unternehmens hoch vernetzt sind, und damit nicht zwingend die ersten Systeme sind, die in die Cloud transferiert werden. Um schnell und flexibel auf veränderte Anforderungen reagieren zu können, verlangt die Cloud zunächst eine Harmonisierung der Prozesslandschaft über Branchentemplates und Industry Best Practices, ohne die sich die Vorteile der Cloud nicht maximal ausschöpfen lassen. Innovationen können nur dann genutzt werden, wenn mittelständische Fertiger mit dieser Entwicklung mitgehen.

Hier werden auch die Anbieter gefordert sein, sich den unterschiedlichen Digitalisierungs-Geschwindigkeiten ihrer Kunden anzupassen. Es geht also vor allem darum, Unternehmen bei der sukzessiven Erweiterung ihrer traditionellen Kernsysteme mit neuen, voll integrierten Cloud-Services zu unterstützen und so eine kundengerechte digitale Transformation zu ermöglichen.

Sparen Mittelständler durch die Auslagerung der Daten an einen Cloud-Anbieter generell Kosten ein oder sollte man hier genau hinschauen?

Ich tendiere eher zum genauen Hinschauen. Die Kosten können sich auch schnell höher als erwartet darstellen. So sehen etwa die Marktforscher von IDC laut der Cloud Pulse 4Q 2023-Umfrage einen klaren Trend, dass Unternehmen vor allem aus Kostengründen ihre Workloads teils aus der Cloud zurückholen.

Einer der Hauptgründe für die Einführung von Cloud Computing war seinerzeit das Versprechen von Kosteneinsparungen. Viele Unternehmen stellen jedoch fest, dass ihre Cloud-Ausgaben die ursprünglichen Schätzungen übersteigen. Laut IDC-Umfrage gab fast die Hälfte der Cloud-Käufer im Jahr 2023 mehr für die Cloud aus, als sie erwartet hatten, und 59 Prozent rechnen mit ähnlichen Überschreitungen im Jahr 2024. Die Komplexität von Cloud-Umgebungen, gepaart mit unvorhersehbaren externen Einflüssen, macht es offenbar schwer, die Kosten genau vorherzusagen.

Das anfängliche Versprechen der Cloud hat sich für viele Unternehmen demnach nicht vollständig erfüllt. Oft kommen auch versteckte Kosten zu spät ans Licht – Datenübertragungsgebühren, unverständliche Kostenberechnungen für Speicher oder zu langlaufende Abonnements. Die meisten Unternehmen holen daher bestimmte Elemente ihrer Workloads zurück in ihre On-Premises-Umgebung, wie etwa ihre Produktionsdaten. Während die Cloud unbenommen eine wichtige Komponente moderner IT-Strategien bleibt, fahren Unternehmen de-facto einen hybriden Ansatz, bei dem sie versuchen, ihre Workloads für die passende Betriebsart – sprich in Public Cloud-, Private Cloud- und On-Premises-Umgebungen – optimal zu platzieren.

Je näher eine Applikation an den Kernprozessen eines Unternehmens liegt, desto sensibler ist es, sie in der Cloud zu betreiben, heißt es. Deshalb sind komplexe und stark modifizierte Applikationen oft weiterhin als OnPrem implementiert. Umgekehrt bedeutet das: Je weiter entfernt eine Anwendung von den Kernprozessen ist, desto einfacher lässt sich diese in der Cloud umsetzen, oder?

Absolut richtig. Gerade bei komplexen Fertigungsprozessen sind mittelständische Unternehmen beim Thema Cloud noch zurückhaltend. Insbesondere für komplexe Module wie Materialwirtschaft, Produktionsteuerung und Logistik ist diese Haltung spürbar. Auf der anderen Seite lassen sich Anwendung, die den Kernprozessen vor- oder nachgelagert und stärker standardisiert sind, viel einfacher als Software-as-a-Service – also als vollumfängliche Cloud-Lösung – umsetzen. So sind Lösungen im Bereich E-Procurement in der Praxis fast ausschließlich in der Cloud abgebildet, während komplexere und stark modifizierte Applikationen weiterhin als On-Premise implementiert sind. Echte Skaleneffekte werden sich erst dann vollständig entfalten, wenn schrittweise weitere Standardisierungsmaßnahmen ergriffen werden, sodass die vollen Vorteile des Cloud-Computings ausgeschöpft werden können.

Sollten ERP-Anwender vielleicht lieber zweigleisig fahren und sowohl Apps für die Cloud als auch für den On-Premise-Einsatz nutzen?

Ein zunehmend dynamisches und unberechenbares Marktumfeld verändert die Wertschöpfung und auch die Geschäftsmodelle unserer Kunden. Dabei ist für unsere Kund*innen neben dem Blick auf die Cloud-Entwicklung vor allem die Entwicklung an der funktionalen Front von besonderem Interesse. Es reicht eben nicht, alten Wein in neue Schläuche abzufüllen und tradierte Geschäftsanwendungen einfach nur auf der Infrastruktur eines Hyperscalers zu betreiben. Vielmehr braucht es schnelle Innovationszyklen durch Plattform-Optimierung und Industry-Best-Practices und ein skalierbares ERP auf der neuesten Cloud-Technologie mit kundenspezifischen Lösungen.

Wir stellen durch die sukzessive und tiefe Integration unserer marktführenden Business Applications wie etwa zum Qualitäts- und Energiemanagement oder AI-gestützte und prädiktive Analysetools unseren Kunden ein SaaS-Offering bereit, das in puncto funktionaler Tiefe und Breite weit über traditionelles ERP hinausgeht. Durch kontinuierliche Updates werden Kund*innen neueste Funktionen auf der immer aktuellen Proalpha ERP-Version nutzen, die wir hybrid – sprich durch die Verknüpfung von On-Prem und Cloud Umgebungen – zur Verfügung stellen.

ERP aus der Cloud ist demnach keine Frage von „entweder oder“, sondern eher ein “und”, um die Durchgängigkeit von End-to-End-Szenarien und Prozessen sicherzustellen. Vielmehr verspricht eine Hybrid-Strategie im Sinne einer sinnvollen Kombination beider Welten mittelfristig – wenn nicht sogar langfristig – den größten Benefit, sofern Unternehmen die Integration und den Managementaufwand vorausschauend mitplanen.

Herr Krauter, wir danken für das Gespräch!

 

 

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