Low-Code ist kein Buzzword, sondern eine wirkliche Revolution

Beitrag von Dr. Dietmar Müller

Chefredakteur Beyond Buzzwords

06. Oktober 2025

Was steckt hinter dem Buzzword „Low-Code“? Diese Frage kann niemand anderes besser beantworten als sein Erfinder, der ehemalige Forrester-Analyst John Rymer. Auf dem Low-Code-Day vor einem Jahr bewertete er seine eigene Erfindung. Auch gab er Hinweise darauf, wohin die Reise in Sachen No Code gehen könnte.

Der mittlerweile dritte German Low-Code Day 2025 findet am 16. und 17. September in Hannover statt. Veranstaltet wird er von der Low-Code Association e.V. in Zusammenarbeit mit der Niedersachsen.next Digitalagentur. Der Kongress richtet sich an CIOs, CTOs und CDOs aus Wirtschaft und Verwaltung sowie an CEOs und CTOs großer und mittelständischer IT-Dienstleister. Er hat das Ziel, über den Entwicklungsstand und die Möglichkeiten der Low-Code und No-Code Technologien zu informieren.

Als Appetithäppchen geben wir hier auf Beyond Buzzwords Aussagen von John Rymer, Associate, Analysis, wieder, die er auf dem Low-Code Day vor einem Jahr im Rahmen eines Pressegespräches gemacht hat. Rymer ist der ehemalige Forrester Analyst, der heute als der Erfinder des Buzzwords „Low-Code“ gilt.

Aufgezeichnet hat das Gespräch die Pressestelle der Low-Code Association e.V.:

Herr Rymer, wie hat sich Ihre Vorstellung von Low-Code verändert, seit Sie den Begriff geprägt haben?

Rymer: Als wir den Begriff „Low-Code“ einführten, tat ich dies zusammen mit meinem Kollegen Clay Richardson. Damals konnten wir uns noch nicht vorstellen, wie weitreichend die Veränderungen sein würden, die diese Technologie mit sich bringen würde. Wir sahen darin in erster Linie eine bessere Möglichkeit zur Erstellung von Anwendungen, insbesondere von Geschäftsanwendungen.

Seitdem ist mir klar geworden, dass Low-Code wirklich eine Revolution ist. Es hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Menschen arbeiten und welche Fähigkeiten sie benötigen. Es erweitert im Wesentlichen die Anzahl der Personen, die zu einer Automatisierungsstrategie beitragen können, und dieser Beitrag wird mit der Zeit immer größer. Es geht nicht nur darum, eine Anwendung zu erstellen, sie zu implementieren und damit fertig zu sein. Der Prozess entwickelt sich ständig weiter. Anfangs haben wir nicht vorhergesehen, welche Auswirkungen Low-Code auf die Arbeit haben würde. Wir sahen es als eine interessante neue Reihe von Tools, aber in Wirklichkeit ist es viel mehr als das.

Welche Branchen oder Anwendungsbereiche profitieren am meisten von der Low-Code-Technologie?

Rymer: Die Vorteile, die wir beobachtet haben, erstrecken sich über ein breites Spektrum von Branchen. Meine Sichtweise ist stark von den Vereinigten Staaten geprägt, da ich dort lebe. In den USA gibt es Branchen, die nicht stark automatisiert sind. Ein Beispiel ist das Baugewerbe. In vielen Bauunternehmen gibt es vielleicht nur eine Person, die für die IT zuständig ist, und deren Aufgabe beschränkt sich oft auf den Betrieb des Mailservers - mehr nicht. Es gibt jedoch viele Prozesse im Baugewerbe, die von einer Automatisierung profitieren könnten.

Ein weiterer Bereich ist das Gesundheitswesen. Krankenhäuser verfügen zwar über eine Vielzahl von Geräten und Automatisierungsmöglichkeiten, aber die Verwaltung von Patientenprozessen - etwa bei Krebspatient:innen oder in der Gynäkologie - wird oft durch Übergaben, E-Mails und andere manuelle Methoden abgewickelt. Low-Code hat sich bei der Erfüllung dieser Anforderungen als sehr effektiv erwiesen, da es keine große IT-Abteilung erfordert.

Wir haben auch im Finanzwesen, an der Wall Street, bei großen Geldinstituten und eigentlich in allen Bereichen Vorteile festgestellt. Es gibt keine Ausnahmen.

Welche technischen Einschränkungen haben Low-Code-Plattformen heute, und wie könnten diese in Zukunft überwunden werden?

Rymer: Eine der potenziellen Einschränkungen ist vermutlich, dass einige Unternehmen die Kontrolle über die Architektur ihrer Anwendungen behalten wollen. Es gefällt ihnen nicht, dass sie die Anwendung innerhalb derselben Plattform erstellen und bereitstellen müssen. Sie bevorzugen vielleicht die Flexibilität, ihre Anwendungen in der Google Cloud oder auf anderen Plattformen bereitzustellen. Die Anbietenden beginnen, sich mit diesem Bedürfnis zu befassen, aber ich persönlich glaube nicht, dass dies eine große Einschränkung darstellt. Dennoch ist es eine Präferenz, die einige Unternehmen haben.

Eine weitere Einschränkung, die von AI-Produkten angegangen wird, besteht darin, dass viele Geschäftsanwender:innen es als langsam und mühsam empfinden, Diagramme zu zeichnen oder Kästchen auf einem Bildschirm anzuordnen, um ein Formular zu erstellen. Sie würden etwas Schnelleres vorziehen. Die AI-gesteuerten Tools ermöglichen es ihnen, einfach eine Beschreibung dessen einzugeben, was sie beginnen möchten, und die Plattform generiert die Formulare, Datentabellen und so weiter. Danach können die Benutzer:innen die generierten Tools verfeinern und verbessern. Ich denke, dieser Ansatz hilft, eine der Barrieren zu überwinden. Es ist, als ob man sich hinsetzt, um einen Roman zu schreiben - wenn man eine leere Seite und eine Tastatur hat, kann das entmutigend wirken. Wenn man aber bereits eine Gliederung und einige Ideen auf Papier hat, ist es viel einfacher, anzufangen.

Gibt es neue Technologien oder Entwicklungen, die den Ansatz von Low-Code revolutionieren könnten?

Rymer: Ich denke, AI. AI ist das nächste große Ding. Mit AI lässt sich so viel anstellen, auch wenn sie oft überbewertet wird und es einen großen Hype um sie gibt. Aber ich glaube wirklich, dass wir von der AI ganz praktische Vorteile haben können. Ich habe zum Beispiel erwähnt, dass man eine Beschreibung der gewünschten Anwendung eintippen kann - das ist bereits ein großer, großer Schritt nach vorn. Aber wir können AI auch nutzen, um Dinge herauszufinden wie: Wie viele Anwendungen befinden sich auf unserer Low-Code-Plattform? Wie viele werden von vielen Menschen genutzt, und wie viele nicht? Haben wir irgendwelche Sicherheitslücken, die wir übersehen haben?

Es gibt eine Menge Analysen, die wir mit Hilfe von AI für Anwendungen und das Gesamtsystem durchführen können, um Dinge zu verbessern. Ich glaube, dass die AI viele Vorteile bietet, die sich mit der Zeit entfalten werden, wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum.

Wenn Sie heute die Möglichkeit hätten, Low-Code neu zu definieren, was würden Sie tun? Würden Sie etwas anders machen?

Rymer: Da bin ich mir nicht sicher. Die Art und Weise, wie ich Forschung betreibe, besteht darin, die Umgebung zu beobachten und Daten darüber zu sammeln. Als Clay und ich den Begriff „Low-Code“ geprägt haben, haben wir einfach auf das reagiert, was wir damals wahrgenommen haben. Damals sahen wir die Demokratisierung der Entwicklungsarbeit nicht als Hauptschwerpunkt an. Wir sahen sie als einen Aspekt, aber ich glaube, sie ist heute viel wichtiger als vor zehn Jahren. Es hat sich viel getan.

Ich glaube nicht, dass ich den Begriff neu definieren würde, denn ich reagierte auf das, was damals auf dem Markt passierte. In den letzten zehn Jahren hat es viele Entwicklungen gegeben, und ich habe meine Sichtweise angepasst, als neue Tatsachen mit der zunehmenden Verbreitung von Low-Code auftauchten.

Es ist also eher ein Prozess, bei dem man sich den Schritten und neuen Entwicklungen anpasst?

Rymer: Ganz genau, es ist eine Reise. Es ist eine Reise mit einem Ziel. Dieses Ziel ist das digitale Geschäft und die digitale Transformation. Allerdings haben wir dieses Ziel noch nicht erreicht - für die meisten Unternehmen nicht einmal annähernd. Aber selbst wenn wir es erreichen, wird es ein weiteres Ziel geben, denn diese Branche entwickelt sich ständig weiter, und es werden immer wieder neue Geschäftsanforderungen auftauchen.

Zur Person:

John Rymer

John Rymer ist ein renommierter Technologieanalyst, der die Entwicklung des Low-Code-Marktes maßgeblich mitgeprägt hat. Er ist vor allem bekannt für seine langjährige Tätigkeit bei Forrester Research, wo er als Principal Analyst tätig war und sich auf Anwendungsentwicklungsplattformen und Infrastruktur-Software konzentrierte. Davor arbeitete er 25 Jahre lang für verschiedene Unternehmen, darunter die Patricia Seybold Group und Giga Information Group. Heute befindet sich Rymer im Halbruhestand. Er arbeitet als Associate bei Analysis.tech, einem Beratungsunternehmen, das sich auf digitale Transformation spezialisiert hat. Er berät weiterhin Unternehmen zu den Themen Low-Code und Digital Process Automation (DPA).

 

 

 

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