Datenräume: Strategische Ressource für die mittelständische Fertigungsindustrie

Beitrag von Dr. Dietmar Müller

Chefredakteur Beyond Buzzwords

28. Mai 2025

Daten sind längst zur strategischen Ressource geworden. Wer sie kontrolliert, entscheidet über den Zugang zu Kunden, die Vergütungsmodelle und den Ort der Wertschöpfung. Für die mittelständische Fertigungsindustrie in Deutschland steht damit weit mehr auf dem Spiel als nur Effizienzgewinne – es geht um die digitale Souveränität und die Zukunftsfähigkeit des ganzen Wirtschaftsstandorts.

Jan Fischer und Thomas Sprenger vom Gaia-X Hub Deutschland erläutern für Beyond Buzzwords, warum souveräne Datenräume so wichtig sind für die deutsche Fertigungsindustrie:


Warum sind Datenräume für den Mittelstand so entscheidend?

In Europas Fabriken schlummern rund 80 Prozent der Industriedaten ungenutzt auf Festplatten und in Maschinen. Das Potenzial, das darin steckt, ist enorm: Daten treiben Innovation, Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt. Doch bislang profitieren vor allem große internationale Tech-Konzerne von der Wertschöpfung aus Daten – bei persönlichen Daten ist diese Entwicklung bereits Realität, wie das Beispiel der Werbeindustrie zeigt. Digitalkonzerne aus den USA kontrollieren dort die Geschäftsmodelle und kassieren den Großteil der Gewinne. Die deutsche Kreativwirtschaft dient als verlängerte Werkbank.

Dieses Szenario droht auch der hiesigen Fertigungsindustrie: Wenn große Plattformanbieter und AI-Konzerne die Services zur Auswertung der Industriedaten liefern, wandert ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung ab. Die Industrieunternehmen verlieren die Kontrolle über Kundenzugang, Vergütungsmodelle und den Ort der Wertschöpfungsort. Damit gerät nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr, sondern auch demokratische Selbstbestimmung und Gemeinwohl.

 

Wie funktionieren Datenräume?

Datenräume sind Europas Antwort auf diese Herausforderung. „Common European Data Spaces“ sind Kern der europäischen Datenstrategie und im Data Act als Schlüssel für sicheren Datenaustausch definiert

Datenräume bilden keine zentralen Datensilos, sondern föderierte, dezentrale Infrastrukturen. Die Unternehmen behalten ihre Daten; der Datenraum steuert nur den Zugriff und Austausch nach klaren, gemeinsam vereinbarten Standards und Regeln. So behalten Unternehmen jederzeit die Kontrolle: Sie legen fest, wer was sehen oder nutzen darf, und schützen ihre Geschäftsgeheimnisse.

Technisch-organisatorisch gliedert ein Datenraum in zwei Ebenen:

Technische Ebene:
Konnektoren regeln den Zugang zu Daten und Services. Die Teilnehmenden verwalten ihre Identität digital, ein Katalog zeigt verfügbare Daten und Dienste, und Verträge schließen sich automatisiert ab.

Organisatorische Ebene:
Sie bestimmt, wer teilnehmen darf, welche Standards und Regeln gelten und wie die Governance funktioniert.

Im Unterschied zu klassischen Plattformen funktioniert ein Datenraum wie ein digitaler Marktplatz: Unternehmen bieten Daten und Dienste unter transparenten Bedingungen an und nutzen sie – ohne die Kontrolle abzugeben.

 

Konkreter Nutzen: Beispiel „Component Matching“ aus der Fertigung

Wie profitieren Fertigungsunternehmen konkret? Das Gaia-X-Leuchtturmprojekt EuProGigant zeigt es am Use Case „Component Matching“:

  • Zwei Zulieferer stellen Bauteile wie etwa Hülsen her, die später zusammengefügt werden sollen. Bisher mussten beide sehr enge Toleranzen einhalten, um Passgenauigkeit sicherzustellen – das treibt Kosten und Ausschuss.
  • Im Datenraum teilen sie Messdaten der Teile digital, ohne sensible Details preiszugeben. Ein Datenservice vergleicht die Maße und schlägt automatisch passende Paare vor.
  • Der Monteur erhält nur die Information, welche Bauteile zusammenpassen – nicht aber die sensiblen Produktionsdaten der Zulieferer.
  • Ergebnis:
    Die Toleranzen können erweitert werden, die Produktionskosten sinken, Nacharbeit und Lagerhaltung werden reduziert, die Montage vereinfacht sich, und die Ausschussrate sinkt deutlich.

Dieses Prinzip lässt sich auf viele Prozesse übertragen: von vorausschauender Wartung über Qualitätsmanagement bis zur Optimierung des Energieverbrauchs. Datenräume ermöglichen neue Formen der Zusammenarbeit, stärken die Resilienz von Lieferketten und schaffen die Grundlage für datengetriebene Geschäftsmodelle.

Was droht ohne Datenräume?

Ohne souveräne Datenräume droht der deutschen Industrie ein Kontrollverlust über ihre wichtigsten Ressourcen. Wenn internationale Plattformen die Auswertung der Industriedaten übernehmen, bestimmen sie auch die Spielregeln: Wer Zugang zu Kunden erhält, wie Vergütung erfolgt und wo die Wertschöpfung stattfindet. Das führt zu einer Abhängigkeit, wie sie in der Werbe- und Musikbranche bereits Realität ist – mit gravierenden Folgen für Innovation, Arbeitsplätze und gesellschaftliche Teilhabe.

Der Aufbau von Datenräumen trägt deshalb zur digitalen Souveränität bei: Nur wenn Unternehmen und Branchen die Hoheit über ihre Daten behalten, sichern und gestalten sie die Wertschöpfung in Europa.

Empfehlungen für mittelständische Unternehmen

Noch befinden sich viele Datenraum-Initiativen in der Pilotphase, der Aufbau erfordert hohe Investitionen, und das Ökosystem wächst erst langsam. Dennoch lassen sich konkrete Schritte empfehlen:

  • Klein starten:
    Finden Sie einen klar umrissenen Anwendungsfall mit echtem Mehrwert (etwa Qualitätsdaten mit einem Zulieferer teilen).
  • Partner suchen:
    Schließen Sie sich bestehenden Initiativen oder Pilotprojekten an (z. B. den zahlreichen Projekten von Manufacturing-X und Factory-X). So profitieren Sie von Standards und Erfahrungen.
  • Standards nutzen:
    Setzen Sie auf offene, interoperable Standards, wie sie Gaia-X und die europäische Data Spaces Community entwickeln. Das senkt Kosten und erleichtert die Integration.
  • Kompetenzen aufbauen:
    Schulen Sie Mitarbeitende in den Grundlagen der Datenwirtschaft und entwickeln Sie internes Know-how für Datenmanagement und Governance.
  • Serviceangebote prüfen:
    Nutzen Sie „Data Space as a Service“-Angebote, sobald sie verfügbar sind. Sie werden den Zugang zu Datenräumen in den kommenden Jahren so einfach machen wie heute Cloud-Dienste.

Fazit

 

Datenräume sind der Schlüssel, damit der Mittelstand in der digitalen Wertschöpfung nicht abgehängt wird. Sie ermöglichen es, Daten sicher, souverän und effizient zu teilen, Innovationen zu realisieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wer jetzt die Weichen stellt, sichert die Wettbewerbsfähigkeit – und bleibt Teil der europäischen Industrie 4.0.

 

Über die Autoren:

Jan Fischer ist Projektleiter und Thomas Sprenger Referent Kommunikation beim des Gaia-X Hub Deutschland.

 

 

Kommentar hinzufügen