Seit 26. Februar 2025 ist es offiziell: Die EU-Kommission, die für ihr großes Ziel der Klimaneutralität eine enorme Bugwelle an Regularien produziert hatte, rudert jetzt zurück. Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage und Bedenken in Sachen Wettbewerbsfähigkeit nachvollziehbar. Einer, der genau das hat kommen sehen, ist Günter Reider, Einkaufsconsultant und CBAM-Spezialist aus Österreich.
„Die Anforderungen der CBAM – also des Carbon Boarder Adjustment Mechanism – waren in ihrem ersten Entwurf einfach völlig überzogen“, schildert Günter Reider seine Erfahrungen aus zahlreichen Beratungsgesprächen. „Selbst größere Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeiter*innen zeigten sich überfordert.“ So verlockend die Idee klang, die europäische Industrie mit ihrer EU-weiten Verpflichtung zum Erwerb von Emissions-Zertifikaten vor Produzenten außerhalb des Unionsgebiets zu schützen, so grandios scheiterte die Umsetzung bislang.
Günter Reider, Einkaufsconsultant und CBAM-Spezialist
Herkulesaufgabe CO2-Wertberechnung
Dabei lieferte die EU-Administration regelmäßig Unterstützung zur geforderten CO2-Wertberechnung der von der Verordnung umfassten Produkte der energieintensiven Warengruppen (Eisen und Stahl, Zement, Aluminium, Düngemittel, Wasserstoff und Strom). „Das Excel-Template aus Mitte 2024, das als Leitfaden gedacht war, war so kompliziert, dass es Panik erzeugte“ Tatsächlich, so betont Reider, könne so gut wie niemand die geforderten Daten liefern. „Die CO2-Wertberechnung nach dieser Methodik ist komplex und erfordert eine Vielzahl an Daten aus der gesamten Lieferkette, vom Rohmaterial bis zu Veredelungsschritten. In der Praxis verfügen weder die einkaufenden Unternehmen noch die Lieferanten über das notwendige Knowhow und die Daten.“ Entsprechend unmöglich erscheint auch die geforderte Plausibilisierung allenfalls vom Lieferanten erhaltener Werte.
Seit 1. Oktober 2023 ist nunmehr die Übergangsphase in Geltung: „Sozusagen die Trockenübung vor der für 1.1.2026 angesetzten Bepreisungsphase, in der dann Zertifikate zu erwerben sind – wenngleich mit anfänglich enormem Rabatt von 97,5 Prozent.“ Die Zahl der seither abgegebenen CBAM-Meldungen spricht dabei Bände: „Man hört, dass rund 80 Prozent der Unternehmen, die aufgrund ihrer Importtätigkeiten zur Meldung verpflichtet gewesen wären, keine Angaben machten – und das, obwohl bis Sommer 2024 auch Standardwerte, die die EU-Kommission veröffentlich hat, verwendet werden durften.“ Und trotz Strafdrohungen bis hin zum Verlust der Eigenschaft als CBAM-Anmelder.
„Das käme dann einem Verlust der Importberechtigung für die betroffenen Waren gleich“, bringt Reider seine Empfehlung auf den Punkt: „Bevor ich als Unternehmen nichts abgebe, liefere ich zumindest mit den gegebenen Mitteln bestmöglich errechnete Werte.“
Schleichende Vereinfachung durch die EU
Die Probleme sind den Verantwortlichen wohl schon seit Längerem bewusst. „Am CBAM-Portal wurden die erforderlichen Angaben im Wesentlichen auf die direkten CO2-Werte des Vormaterials und die bei der Produktion verbrauchten Energie reduziert.“ Auf Basis der Angaben der Internationalen Energie-Agentur zum Energiemix des Herkunftslandes (in Form von CO2-Ausstoß pro kW/h) wird daraus der Emissionswert errechnet. „Mit automatisierten Abfragen, wie sie etwa das Unternehmen DIG
ermöglicht, können Werte wie Maschinenverbrauchsdaten ermittelt und in Abstimmung mit dem Lieferanten korrekte Angaben errechnet werden. Als Spezialist für Produktionsverfahren stelle ich dafür mein Knowhow zur Verfügung.“ Das helfe letztlich auch den Lieferanten: „Jeder Produzent will seine Waren verkaufen – das CBAM-Reporting soll dem nicht entgegenstehen.“ Denn auch der Wechsel von Lieferanten ist angesichts der zu erwartenden Bepreisung nicht sinnvoll: „Die Kosten für Zertifikate werden sich mit Start der Bepreisungsphase auf etwa 0,05 Prozent des Warenwertes belaufen. Es lohnt sich also, mit sauberen, weitgehend automatischen Prozessen zu arbeiten. Die ermittelten Werte sind ja auch für die CSRD-Berichterstattung sinnvoll.“
Was sich jetzt ändert
Die eingangs erwähnten, aktuell zu diskutierenden Erleichterungen der EU ändern aus Sicht Reiders wenig: „Ein Schwellwert von 50 Tonnen pro Jahr, ab dem eine CBAM-Erklärung erst erforderlich ist, reduziert zwar die geschätzten 200.000 betroffenen Unternehmen in Europa auf 2.000 – trotzdem fallen mehr als 99 Prozent der Emissionen in den Geltungsbereich.“ Außerdem müsse man dann den Schwellwert im Auge haben: „Über die EORI-Nummer und die Gewichtsangaben, die die Verzoller in das Register melden erfährt die Behörde das Überschreiten. Dann wird eine Nachmeldung fällig. Und die nachträgliche Einholung dieser Daten bei einem Lieferanten, der seine Rechnung bereits kassiert hat, ist nicht unbedingt einfacher.“ Auch wenn die Kommissionsvorschläge einen zulässigen Rückgriff auf Standard- oder Durchschnittswerte vorsehen, sieht Reider Potenzial in der Ermittlung möglichst realer Werte: „Diese werden wohl wie zuletzt auch höher angesetzt. Mit steigenden Zertifikatspreisen werden günstigere Echtwerte dann zum Wettbewerbsfaktor. Durch technische Maßnahmen wie z.B. effizientere Maschinen oder eine nachhaltige Energieversorgung können die Emissionen und folglich die Kosten gesenkt werden. Damit hätte die EU ihr Ziel dann doch erreicht.“
Die vorgeschlagenen Änderungen der EU-Kommission im Überblick:
1. CSRD Berichtspflicht erst ab 1.000 Mitarbeitern und entweder einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von mehr als 25 Millionen Euro
- freiwillige Berichterstattung für nicht mehr verpflichtete Unternehmen nach einem vereinfachten Berichtssystem
- Verzicht auf strengere Prüfkriterien (keine "reasonable assurance"
- Verschiebung der Berichtspflichten für KMUs um zwei Jahre
2. CSDDD Sorgfaltspflichten: Verlängerung der Umsetzungsfrist bis Juli 2028 Reduktion der Prüfpflichten für indirekte Zulieferer (außer bei begründeten Verdachtsmomenten)
- Evaluierung der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen nur noch alle fünf Jahre statt jährlich
3. CBAM Meldungen: Erleichterung für Kleinimporteure (bis 50 to/Jahr keine Meldepflichten)
- Unternehmen können auf Standard- und Durchschnittswerte bei der Berechnung zurückgreifen
- Maßnahmen gegen Umgehungskonstrukte der CBAM-Meldungen - verstärkte Kontrollmechanismen