Chancen und Risiken durch Hyperscaler und die Cloud
Outsourcing oder nicht, das war die Gretchenfrage früherer Jahrzehnte. On-Premise oder Cloud ist dabei nur ein scheinbarer Gegensatz. Für die Zukunft geht es um die Schaffung einer modernen Datenökonomie – insbesondere auch für den Mittelstand und die Fertigungsindustrie.
Wenn es um den technischen Status Quo ihres Unternehmens geht, denken die meisten CIOs und IT-Leiter auch heute noch recht konservativ – vielleicht sogar ein bisschen scheuklappenbeschränkt. In ihren Augen umfasst die eigene IT hauptsächlich robuste Mainframes, Serverschränke, Desktop-Rechner, computergesteuerte Maschinenanlagen in den Fertigungsstätten, das eingekaufte Portfolio an Software-Lizenzen und vor allem die im Unternehmen aggregierten Daten. Doch auch die eigene – durch ein historisches Wachstum zunehmend komplexer gewordene und deshalb an so manchen Stellen inzwischen veraltete – IT-Architektur treibt technische Unternehmensverantwortliche gedanklich um. Und das aus gutem Grund. Denn inzwischen haben große Cloud Service-Provider wie Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure und Google Cloud Services – sogenannte Hyperscaler – das Verständnis für zeitgemäßes Computing revolutioniert und durch ihre Software-Anwendungen und -Services auf Abonnement-Basis den Markt nachhaltig verändert.
Hyperscaler als Treiber einer hochflexiblen Datenökonomie
Große Cloud-Service-Provider zeichnet insbesondere aus, sich durch ihre flexibilitätsoptimierte IT-Architektur jederzeit an verändernde Marktbedingungen und eine rasch steigende Anzahl von Useranfragen anpassen zu können. Marc Benioff, CEO und Mitgründer von Salesforce und einer der SaaS-Pioniere, bringt die dahinterstehende Philosophie auf den Punkt: „Sieh immer voraus, was als Nächstes kommt. Und dann sei so flexibel, dich weiterzuentwickeln.“ [1] Angesichts der sich Unternehmen stellenden Herausforderungen durch die aktuelle wirtschaftliche und geopolitische Lage sowie kommender gesetzlicher Anforderungen eine Prämisse, die jeder IT-Verantwortliche heute verinnerlichen sollte. Die Frage nach der Wahl der geeigneten Technologie, On-Premise oder in der Cloud, ist dabei nicht primär entscheidend. Geht es doch in Zukunft um nichts Geringeres als die Schaffung einer modernen Datenökonomie.
Hyperscaler betreiben hochautomatisierte Rechenzentren. Diese, anfänglich zumeist in den USA beheimatet, was jedoch zu Compliance-Problemen bei der Datenspeicherung führte, stehen heute unter anderem auch in Europa. Jedoch hat sich inzwischen eine Art Lieferkette innerhalb eines Cloud-Ökosystems herausgebildet, in dem Hyperscaler Rechenzentren nicht mehr völlig unabhängig planen und betreiben. Stattdessen stellen sie ihre Dienste – auch in Deutschland – Kunden mithilfe nationaler Netz- und lokaler Colocation-Anbieter zur Verfügung.
Hyperscaling bietet Wachstumspotenzial für den Mittelstand
Auch mittelständische Unternehmen können die SaaS-Angebote der großen Hyperscaler – etwa für Business-Intelligence-Anwendungen oder zur intelligenten Suche in den eigenen Unternehmensdaten – unkompliziert nutzen. Viele Mittelständler ergänzen ihr Lösungsspektrum zusätzlich auch noch um Platform-as-a-Service (PaaS)- oder Infrastructure-as-a-Service (IaaS)-Applikationen von weiteren Software-Anbietern, die bei Hyperscalern im Hintergrund auf eine Anwendungsplattform oder Infrastruktur aufsetzen.
Ein weiterer Grund für die Relevanz von Cloud-Diensten für den Mittelstand ist die Tatsache, dass viele cloudbasierte Anwendungen – sowohl technologisch als auch performanceseitig – nicht mehr aus eigener Kraft zu bewältigen sind. Clouds verfügen in der Regel stets über die aktuell höchstmögliche Computing-Leistung und in die Anwendungen fließen permanent neue Technologien – etwa aus dem Bereich der Artificial Intelligence (AI) – mit ein. Die dahinterstehenden Entwicklungsbudgets würden die Möglichkeiten der meisten mittelständischen Unternehmen bei weitem übersteigen. So ist etwa die Integration und Umsetzung einer Cybersecurity-Strategie zum Schutz von Unternehmensdaten in Zusammenarbeit mit Hyperscaler-Experten in der Cloud wesentlich schneller und kostengünstiger als etwa eine On-Premises-Implementierung in Eigenregie. IT-Verantwortliche im Mittelstand sollten sich deshalb gut überlegen, wann es sinnvoller wäre, auf Clouddienste zurückzugreifen. Hierbei darf auch das Thema Nutzererfahrung nicht außer Acht gelassen werden – sowohl die eigene Belegschaft als auch Kunden betreffend. Denn die einfache und intuitive Nutzung von Apps auf dem Smartphone oder Tablet hat die Erwartungshaltung und den Anspruch der Nutzer an die Usability von Anwendungen allgemein stark verändert. Den gewohnten Komfort aus dem Privatbereich erwarten Nutzer heute ganz selbstverständlich auch im Business-Umfeld.
Technologiekritischer Faktor bei der Entscheidung für die Cloud ist der Grad vorgenommener Eingriffe innerhalb der bis dahin bestehenden Prozesslandschaft. Im ERP-Bereich zeigt es sich etwa, dass mittelständische Unternehmen einen eher evolutionären Pfad beschreiten sollten. So lässt sich die Cloudfähigkeit von Frontend-Anwendungen für Kunden und Partner zwar zweifellos recht schnell und unkompliziert erreichen. Doch je stärker es um produktionsnahe Prozesse geht, desto mehr verlangsamt sich die Transformationsgeschwindigkeit von Unternehmen beim Übergang in die Cloud (siehe Grafik unten). Hier gilt es, sich als Hersteller dem Tempo der Kunden diesbezüglich anzupassen.
Eigene Datenhoheit intelligent und gewinnbringend nutzen
IT-Verantwortliche stellen sich, wenn es um das Thema Cloud geht, zumeist diese klassischen Fragen: „Wo speichert ein Anbieter meine Daten, wie sicher sind sie und wie vertraulich bleiben sie? Nutzt er sie vielleicht, um sie weiterzuverarbeiten, zu veredeln und damit dann eigene, kostenpflichtige digitale Mehrwertdienste anzubieten?“ Die in diesen Fragestellungen mitschwingenden Zweifel sind jedoch nicht ganz unbegründet. Denn voll digital transformierte Unternehmen sind zweifelsohne in der Lage, mithilfe ihres – aus allen Geschäftsbereichen aggregierten und nicht zuletzt mithilfe von AI-Tools ermittelten – Datenbestandes völlig neue betriebliche Erkenntnisse zu gewinnen – und auf deren Grundlage sogar komplett neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Darüber hinaus könnte die Zusammenarbeit mit Partnern und Kunden ganz andere Dimensionen annehmen.
Doch wie können Unternehmen – insbesondere aus dem Mittelstand – den technologischen Vorsprung von Hyperscalern nutzen, ohne sich gänzlich in ihre Hände zu begeben? Diese Frage beschäftigt auch die Judikative der Europäischen Union. Diese ist bestrebt, die digitale Transformation in Europa zu fördern, dabei auch europäische Unternehmen gegen eine dominante Disruption von außen zu schützen und gleichzeitig die Rechte der Endkonsumenten zu wahren. Rechtliche Grundlage im Hinblick auf das Teilen und den Austausch von Daten – insbesondere auch im industriellen Kontext – stellt der vom Europäischen Parlament beschlossene „EU Data Act“ [2] dar. Dieser soll sicherstellen, dass allein die Nutzer darüber entscheiden, was mit ihren Daten geschieht. Zudem soll der Data Act Unternehmen, die Vertragspartnern aufgrund ihrer Marktposition überlegen sind, daran hindern, diese zu einseitigen Zugeständnissen zu zwingen. Und schließlich soll das Gesetz den Wechsel von einem Cloud-Dienstleister zu einem alternativen Anbieter erleichtern.
Die daraus resultierenden Effekte könnten enorm sein, denn nach Ansicht der Europäischen Kommission sind 80 Prozent der in der Industrie erhobenen Daten bisher noch ungenutzt [3]. Dies entspräche, so deren Kalkulation, einem zusätzlichen Wertschöpfungsvolumen von 270 Milliarden Euro 2028 und könnte die Etablierung einer völlig neuen Datenökonomie einleiten.
X-Initiativen: Regierung, Wissenschaft und Wirtschaft Hand in Hand für eine moderne Datenökonomie
Um die im EU Data Act festgeschriebenen Vorgaben erfüllen und gesteckte Ziele erreichen zu können, haben Politik und Wirtschaft zusammen eine Reihe sogenannter X-Initiativen gestartet, die eine geregelte Nutzung und den Austausch von Industriedaten ermöglichen sollen. Eine wichtige Rolle für die Fertigungsindustrie soll dabei Manufacturing-X [4] übernehmen, bei der mit rund 50 Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Verbänden eine digitale Plattform für föderative Datenräume in diesem Industriezweig aufgebaut werden soll. Unternehmen sollen Daten über die gesamte Fertigungs- und Lieferkette souverän und gemeinsam nutzen können und damit digitale Innovationen für mehr Resilienz, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsstärke ermöglicht werden. Während Manufacturing-X branchenübergreifend für die Industrie – von den Ausrüstern beziehungsweise dem Maschinenbau über Automotive bis hin zur Prozessindustrie – ausgerollt werden soll, fokussiert sich die Initiative Factory-X [5] – als Pendant zu Catena-X [6] für die Automobilbranche – speziell auf die deutsche Maschinenbauindustrie.
Fazit
Wie kann aber nun ein mittelständisches Unternehmen die eigenen Weichen für diese neue Form der Datenökonomie stellen? Zunächst gilt es, sich kontinuierlich über die Arbeit bereits etablierter Initiativen, Projekte und die Gremienarbeit von Verbänden wie VDMA und ZVEI in Sachen Manufacturing- oder Factory-X zu informieren. Bis deren Aktivitäten einen ausreichenden Reifegrad erreicht haben, sollte sich der Mittelstand weiter auf die Verschlankung und Modernisierung der eigenen IT-Architektur konzentrieren sowie Kapazitäten und Know-how für die Teilhabe an digitalen Datenräumen schaffen. Nur Unternehmen, die entsprechende Vorbereitungen getroffen haben, werden zukünftig in der Lage sein, eine maßgebliche Rolle in den digitalen Wertschöpfungsketten der Zukunft zu spielen, deren Fokus nicht an den eigenen Fabriktoren Halt macht. In jedem Fall sollten die Unternehmens- und IT-Verantwortlichen keine Zeit verlieren und sich schnellstmöglich auf diese völlig neuartige Form der Datenökonomie vorbereiten – sowohl innerbetrieblich als auch in Richtung externer Ökosysteme.
Quellen:
[1] „You must always be able to predict what’s next and then have the flexibility to evolve.“ https://www.salesforce.com/ceo/
[2] https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20230310IPR77226/datengesetz-neue-regeln-fur-fairen-zugang-zu-und-nutzung-von-industriedaten und https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/news/european-data-act-enters-force-putting-place-new-rules-fair-and-innovative-data-economy
[3] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_22_1113
[4] https://www.plattform-i40.de/IP/Navigation/DE/Manufacturing-X/Initiative/initiative-manufacturing-x.html[5] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/Manufacturing-x/Module/projekt-factory-x.html