Hyperkonnektivität: Wie vernetzte Systeme Unternehmen transformieren

Beitrag von Björn Goerke

Chief Technology Officer, Proalpha Group

09. Januar 2025

Wie die allumfassende Vernetzung Unternehmen nützt

Alles ist mit allem verbunden. Dieses spirituelle, fernöstliche Motto gewinnt bei einer Smart Factory eine ganz neue Bedeutung. Der Schlüssel ist dabei die allumfassende Verbindung und damit die Kommunikation von Mensch und Maschine untereinander. Mit Hyperkonnektivität sind hier technische als auch menschlich-soziale Faktoren gemeint.

Je nach Perspektive hat das Wort „Hyperconnectivity“ seine Karriere schon hinter sich oder es erfährt in den nächsten Jahren erst einen wirklichen Schub. Immerhin war „Hyperconnectivity“ ein Buzzword auf dem WEF in Davos – allerdings schon vor gut zwölf Jahren. Der Begriff wurde ursprünglich von zwei kanadischen Soziologen im Jahr 2003 geprägt. Damals postulierten Anabel Quan-Haase und Barry Wellman, dass die fortschreitende technische Entwicklung, vor allem die Vernetzung von Mensch und Maschine via Internet, einen tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft auslösen wird [1]. Heute erforschen Soziologen in diesem Zusammenhang vor allem die Auswirkungen der Sozialen Medien auf unser Zusammenleben. Und genau hier gibt es ein Problem, denn mit Hyperkonnektivität kann aktuell der engagierte Personalleiter mehr anfangen als der IT-Leiter eines mittelständischen Unternehmens. Warum? Weil ein Personalleitungen heute nur mittels Facebook, Instagram, TikTok und Co. passende Talente findet.

Und welche Rolle spielt Hyperkonnektivität für den IT-Leiter? Eine Gruppe von spanischen Ingenieuren von der Uni in León legte den technischen Begriff anlässlich ihres Demonstrators für Smart Manufacturing folgendermaßen fest: „Hyperkonnektivität kann definiert werden als die massive und universelle Kommunikation zwischen heterogenen industriellen Anlagen in einem digitalisierten Kontext durch den Einsatz von industriellen Netzwerken auf der Grundlage von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Darüber hinaus kann der Begriff Hyperkonnektivität auch die Darstellung von Daten über Schnittstellen und die Möglichkeit der Interaktion von Menschen mit der digitalisierten Umgebung von Smart Manufacturing umfassen.“ [2]

Babylonisches Sprachgewirr oder richtige Hyperkonnektivität?

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Kommunikation von Maschinen untereinander die Kommunikation zwischen Menschen bei weitem übersteigen wird. Laut Statista liegt die Zahl der mit dem Internet verbunden Dinge weltweit derzeit bei rund 15 Milliarden. Bis zum Jahr 2030 wird eine Verdoppelung prognostiziert [3]. Während der Löwenanteil der Konnektivität weiterhin leitungsgebunden sein wird, zeigt sich der Anteil mobiler Kommunikationswege ebenfalls stark steigend. Immerhin belief sich die Anzahl der M2M-Anschlüsse per Mobilfunk in Deutschland im Jahr 2023 bereits auf rund 62,8 Millionen [4].

Im Demonstrator an der Universität von León wurde das Zusammenspiel von Komponenten in einem Fallbeispiel zur Inspektion von Bauteilen vorgeschlagen. Eine Komponente ist dabei ein autonomer Lagerroboter, der natürlich drahtlos angebunden ist. Der Demonstrator besteht insgesamt aus einem kleinen Förderband, das mit einem Laser zur Vermessung der Prüfstücke sowie elektropneumatischen Aktoren ausgerüstet ist, um etwa ungeeignete Bauteile auszusortieren. Das Förderband wird von einem PLC (Programmable Logic Controller) gesteuert. Die Prüfstücke werden via Roboterarm vom Lagerroboter auf dieses Band gestellt. Nach der vollautomatischen Prüfung der Bauteile wird auch der Faktor Mensch mit eingebaut, der die Bauteile manuell mittels eines Endoskops visuell prüft und über eine angeschlossene Workstation die Daten ins System überführt. Zusätzlich kann der Mensch mittels einer App auf seinem Smartphone den Status des Lagerrobots erfahren, indem er einfach die Kamera des Smartphones auf den Lagerrobot richtet und dann via Augmented Reality die Statusdaten eingeblendet bekommt. Ein Rechner vor Ort (Edge-Prinzip mit Voraufbereitung) sammelt dann alle Daten, über die er zum Beispiel mit dem Digitalen Zwilling des Roboters in der Cloud kommuniziert.

Das Hauptproblem, das die Forscher feststellten, ist die Kommunikation der Komponenten untereinander sowie des Edge-Rechners mit Anwendungen in der Cloud. Die Kommunikationsprotokolle sind unterschiedlich und sowohl in der Welt der Fabrikhalle (OT; Operational Technology) als auch der Informationstechnologie (IT) beheimatet. In diesem Fall kommen etwa die Protokolle „http/https“ sowie „Profinet“ und „MQTT“ (Message Queue Telemetry Transport) zum Einsatz. Ein weiteres Problem ist die Optimierung der Antwortzeiten der einzelnen Komponenten, die sich - vor allem, wenn sie drahtlos und über die Cloud gehen – nicht zu sehr von den lokalen (OT-) Komponenten unterscheiden sollten.

Die Krux der Hyperkonnektivität ist also die derzeitige babylonische Sprachverwirrung der Kommunikationsprotokolle, die zwingend gelöst werden muss, wenn eine Smart Factory funktionieren soll. Während in der Werkshalle oft noch analoge Signale abgegeben werden, gilt es diese möglichst bald zu digitalisieren. Dabei wird in der Welt der OT heute in den Anlagen meist das HART-Protokoll genutzt (Highway Adressable Remote Transducer), das analoge Signale in 0 und 1 auf zwei Frequenzebenen digitalisiert. Gleichzeitig werden Ethernet-Kabel gelegt, um auch das TCP/IP-basierte MQTT-Protokoll zu nutzen – in der IIoT inzwischen einer der gebräuchlichsten Standards. Nach der Umsetzung vor Ort, etwa in HART IP oder OPC UA (Open Platform Communications Unified Architecture) erfolgt dann der Transport der Daten an verschiedene Server, die in der Lage sind, diese zu analysieren, zu konsolidieren sowie weiter „nach oben“ zu reichen, auch etwa in eine ERP-Lösung wie der von proALPHA [5]. Hier ist noch eine Menge Normierungsarbeit zu leisten, und es ist auch für den Mittelstand wichtig, sich immer wieder über den Stand der Dinge in den entsprechenden Gremien zu informieren.

Die 3-Stufen-Transformationsformel für ein hyperverbundenes Unternehmen

Hyperkonnektivität erfordert eine Transformation des Unternehmens auf drei Ebenen. Da ist zum ersten die Nutzungserfahrung der Mitarbeitenden (und Kundinnen, Geschäftspartner) aus ihrem Privatleben. Vor allem die jüngere Generation will das gleiche Erlebnis auch im professionellen Umfeld wiederfinden.

Zweitens müssen Unternehmen in die Digitalisierung ihrer Prozesse innerhalb und außerhalb ihrer Unternehmensgrenzen investieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein und gesetzeskonform agieren zu können. Und last but not least schafft der Umgang mit komplexen End-to-End-Prozessen die Notwendigkeit offener und interoperabler Standards, gerade auch im Umfeld der Kommunikationsprotokolle. Einhergehend damit rückt der Bereich der Cybersecurity in den Fokus, der auf dieser Ebene intensiviert werden muss.

Das lohnende Ziel ist mehr Transparenz über den Status quo des Unternehmens und ermöglicht durch einen Blick in den Rückspiegel vor allem Echtzeit-Erkenntnisse über die aktuelle Geschäftsentwicklung. Darüber hinaus sollen prädiktive und präskriptive Fähigkeiten dafür sorgen, zentrale Geschäftsvorgänge proaktiv in die Zukunft zu führen.

Quellennachweise: 

[1] Wellman, Barry (June 2001). "Physical Place and Cyber Place: The Rise of Networked Individualism". International Journal of Urban and Regional Research. 25 (2): 227–52. 
[2] Techn. Def. von Hyperconnectivity (Original): “Hyperconnectivity can be defined as the massive and universal communication among heterogeneous industrial assets in a digitized context through the use of industrial networks based on Information and Communication Technologies (ICTs). In addition, the term hyperconnectivity may include the representation of data through interfaces and the possibility for humans to interact with the digitized environment of SM [Smart Manufacturing].  https://www.researchgate.net/publication/372298140_Hyperconnectivity_proposal_for_Smart_Manufacturing 
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1420315/umfrage/anzahl-der-iot-geraete-weltweit/ 
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/974689/umfrage/anzahl-der-m2m-anschluesse-in-deutschland/#:~:text=Die%20Statistik%20bildet%20die%20Anzahl,auf%20rund%2062%2C8%20Millionen. 
[5] https://www.proalpha.com/de/ 

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